Die Identifikation und Verortung von geographischen Angaben sind nicht erst seit dem spatial turn ein zentrales Anliegen der Geisteswissenschaften. Insbesondere digitale Möglichkeiten liefern neue Erkenntnisse und bieten Ansätze für eine Auswertung nach "geographischen Gesichtspunkten", wie das lebendige Panel "Understanding Geographies" an der DH 2014 in Lausanne demonstrierte.
Anhand von vier Projekten wurden in knapp zwei Stunden vor zahlreichem Publikum die Methodik, technische Umsetzung und Erkenntnisse im Umgang mit der Gewinnung und Auswertung geographischer Daten vorgestellt. Die behandelten Zeitbereiche reichten von der Antike bis zum 19. und frühen 20. Jahrhundert.
Geohums session packs them in at #dh2014 pic.twitter.com/1vGXQ7DFAl
— leifuss (@leifuss) July 9, 2014
Insbesondere die Erarbeitung und Auszeichnung der geographischen Einheiten aus Texten, aber auch mittels Scans des Negativs eines Modells bildeten eine Klammer, die für das sich bereits in Ausdifferenzierung und Spezialisierung begriffene Feld der geohumanities in den DH stehen kann.
Ein Projekt zur Zuordnung geographischer Merkmale (geoparsing) aus historischen, insbesondere aber auch literarischen Texten über den Lake District (Nordengland), präsentiert von IAN GREGORY (Lancaster), bildete eine Einführung in den momentan möglichen Umgang mit automatisch erkannten und verorteten geographischen Bezeichnungen. Mittels Verknüpfung von Adjektiven im nahen textuellen Umfeld kartographiert das Projekt positive und negative Wertungen (mehr oder weniger statistisch signifikant). In naher Zukunft wird versucht durch Einbindung weiterer Korpora (EEBO, British Library Newspaper usw.) grössere Datenmengen zu verarbeiten, wobei der Rückbezug zum Text, aus welchem die extrahierten Daten stammen, durchwegs erhalten bleiben soll. Der Schritt vom distant zum close reading soll klein sein - ein Ansatz, dem auch die anderen drei Projekte folgen.
Ian Gregory's Spatial Humanities project will apply the techniques they're pioneering to EEBO, BL's C19th newspapers & more #DH2014
— Anouk Lang (@a_e_lang) July 9, 2014
Ähnliche Probleme in der Auszeichnung, jedoch ganz andere in der Auswertung machen das Projekt zur Erforschung von geographischen Einheiten in Auszügen von James Joyce Werk Ulysses aus. Der präsentierende CALEB DERVEN (Limerick) changierte gekonnt zwischen der Erläuterung technischer Anforderungen und angewandten Lösungen (TEI-XML Auszeichnung) sowie möglichem Umgang mit (vom Autor absichtlich?) unsicher gehaltenen Bezeichnungen als Interpretation des Joyceschen Werks. Der digitale Umgang mit dem Werk, eng geführt mit literaturwissenschaftlichen Auswertungs- und Verständnisansätzen, bildet eine Möglichkeit, die digital humanities umfassender und nicht als blosse Werkzeugkiste zu verstehen. Technische Potentiale und Probleme für die Interpretation wurden kritisch reflektiert und fruchtbar gemacht.
Ulysses has been geoparsed and geocoded! Find the pubs! Ping @SK53onOSM Mapping and Unmapping Joyce in #dh2014 proceedings
— Susanna Ånäs (@susannaanas) July 9, 2014
Auf vollständige Kooperation und open linked data stützt sich das aus der Geographie der Antiken Welt entwickelte Projekt Pelagios 3, vertreten im Panel durch ELTON BARKER (Milton Keynes), LEIF ISAKSEN (Southampton) und RAINER SIMON (Wien). Aus antiken Textzeugen werden kontrolliert und nur bedingt automatisiert geographische Bezeichnungen extrahiert, die mittels URIs (Uniform Resource Identifier) ausgezeichnet werden können. Für die Isolation und Auszeichnung der Einheiten wurde eigens eine Oberfläche geschaffen (Recogito), die es etwa Studierenden erlaubt, schnell und ohne technische Vorkenntnisse grosse Textmengen zu bearbeiten. Wie im ersten Projekt bleibt die enge Beziehung zu den verarbeiteten Werken vorhanden. Dank der Offenlegung der Daten sind potentiell „bodenlose Karten“ (bottomless maps als Erweiterung von tief ausgezeichneten Karten) erstellbar, die in Zukunft von allen erweitert werden können.
Bottomless maps just keep on growing. Ethos behind #pelagios3 @leifuss #dh2014 pic.twitter.com/PDNNFymmN6
— Shawn Day (@iridium) July 9, 2014
Pelagios3 os all about crowdsourced glue #dh2014 - serious results! pic.twitter.com/YAdTnYFoar
— Shawn Day (@iridium) July 9, 2014
Ein Ausstellungsprojekt bildete den Abschluss des engagiert von DOT PORTER (Philadelphia) geführten Panels. Die Wiederentdeckung von Negativ-Abgüssen ermöglichte die Rekonstruktion eines Reliefs, welches zu touristischen Zwecken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Keswick (ebenfalls im Lake District in GB) ausgestellt wurde. Die Vermessung mittels Laserscan, geo-processing (Umdeutung des Scans in geographische Daten) und die Rekonstruktion mittels CNC-Schneider eröffneten gemäss GARY PRIESTNALL (Nottingham) einen Dialog zwischen den Disziplinen, der auch weitere ähnliche Projekte anstossen soll.
#dh2014 pic.twitter.com/6Fypvt8tTR
— Niall O'Leary (@niallDH) July 9, 2014
Alle vier Projekte zeigten die Vielfältigkeit des möglichen Umgangs mit geographischen Daten, sei es in Texten oder anderen Medien. Trotz Vielfalt ist ein Umdenken im Umgang mit Daten und entwickelter Software zu erkennen, wird diese doch durchwegs allen Interessierten zur Verfügung gestellt und zukünftigen Generationen Grundlagenarbeiten abnehmen. Die vor kurzem ins Leben gerufene special interest group der ADHO (http://www.geohumanities.org/) wird das ihrige dazu beitragen, um Standards zu schaffen und best-practices zu promoten.
Dem Diktum, dass GIS gut für die Identifikation von Mustern (patterns) sei, jedoch keine Erklärungen liefere, ist zwar weiterhin beizupflichten, doch der produktive Umgang und die Erzeugung der geographischen “Daten” ist selbst bereits eine Form der Erklärung, die es weiter kritisch zu beobachten gilt.
Paper Session 3, 10. Juli 2014
Chair: Dot Porter
Digital approaches to understanding
the geographies in literary and historical texts Cultures
Gregory, I.; Donaldson, C.; Murrieta-Flores, P.; Rupp, C.J.; Baron, A.; Hardie, A.; Rayson, P.
Link zum Paper: http://dharchive.org/paper/DH2014/Paper-790.xml
Link zum Projekt: http://www.lancaster.ac.uk/spatialhum/
Mapping and Unmapping Joyce: Geoparsing Wandering Rocks
Derven, C.; Teehan, A.; Keating, J.
Link zum Paper: http://dharchive.org/paper/DH2014/Paper-510.xml
Pelagios3: Towards the semi-automatic annotation of toponyms in early
geospatial documents
Simon, R.; Barker, E. T. E.; de Soto, P.; Isaksen, L.
Link zum Paper: http://dharchive.org/paper/DH2014/Paper-793.xml
Link zum Projektblog: http://pelagios-project.blogspot.ch/
Link zu Pelagios beim Austrian Institute of Technology: http://www.ait.ac.at/research-services/research-services-safety-security...
Reconstruction and Display of a Nineteenth Century Landscape Model
Priestnall, G.; Lorenz, K.; Heffernan, M.; Bailey, J.; Goodere, C.; Sullivan, R.
Link zum Paper: http://dharchive.org/paper/DH2014/Paper-920.xml