Verantwortung: Eva Maurer / Karin von Wartburg
Inputreferate und Diskussion: Stéphanie Roulin / Christiane Sibille / Monika Dommann
Eine überaus wichtige Ressource für Historikerinnen und Historiker sind die Bibliotheken, deren Rolle sich allerdings in den letzten Jahren stark gewandelt hat. Printmedien geraten zugunsten digitaler Informationsressourcen immer mehr in den Hintergrund, Bibliotheken übernehmen neue Aufgaben wie die Digitalisierung von historischem Kulturgut und engagieren sich verstärkt bei der Vermittlung von Informationskompetenz (IK). Was erwarten Historikerinnen vor diesem Hintergrund von Bibliotheken und Bibliothekaren? Wie sieht die gemeinsame Zukunft von Geschichtswissenschaft und Bibliothek aus? Diesen Fragen gingen die drei Referentinnen Stéphanie Roulin, Christiane Sibille und Monika Dommann sowie die Roundtable-Leiterinnen Eva Maurer (Universitätsbibliothek Bern) und Karin von Wartburg (Schweizerische Nationalbibliothek) zusammen mit den Diskussionsteilnehmenden nach.
STEPHANIE ROULIN (Universität Freiburg) warf die Frage auf, ob und inwiefern die Schulungen in Informationskompetenz an den historischen Seminaren den Bedürfnissen der Geschichtsstudierenden und den Anforderungen des Geschichtsstudiums gerecht werden. Idealerweise vermittelt die Ausbildung, die in der klassischen Rollenverteilung durch die Dozierenden im Methodenseminar und durch die Bibliothekarinnen im IK-Kurs gemeinsam getragen werden, eine gute Übersicht über alle zur Verfügung stehenden bibliothekarischen Ressourcen und die notwendigen Recherchetechniken. Die Realität zeigt allerdings, dass die Studierenden nur über rudimentäre Recherchekenntnisse verfügen. Fehlende Koordination zwischen Dozierenden und Bibliothekaren und ein Unterricht, der aufgrund der hohen Studierendenzahl nicht auf individuelle Bedürfnisse eingehen kann, beeinträchtigen den Erfolg der Schulungen. Als konkrete Verbesserungsvorschläge nannte Stéphanie Roulin u.a. eine solide Weiterbildung der Dozierenden in Informationskompetenz, eine gezielte Evaluierung der studentischen Arbeiten im Hinblick auf die Tiefe und Qualität der Recherche, eine bessere Verzahnung der Methodenseminare und der IK-Schulungen und schliesslich ein Kursangebot, das unterschiedliche Levels abdeckt.
CHRISTIANE SIBILLE (Diplomatische Dokumente der Schweiz) machte die elektronischen Daten der Bibliothek und wie die Historikerinnen und Historiker mit diesen umgehen zum Thema ihrer Präsentation. Als Erstes widmete sie sich den Bibliothekskatalogen und ihrer Funktionsweise: Das Google-Prinzip hat sich auch dort durchgesetzt. Es wird eine unspezifische Suche in einem Suchfeld abgesetzt, die immer Treffer ergibt. In der Regel ist allerdings unklar, was in den Katalogen der neuesten Generation alles enthalten ist. Werden Altbestände oder Online-Angebote mitberücksichtigt? Die Suche im Bibliothekskatalog ist beliebig, der Bibliothekskatalog eine black box geworden. Eine weitere Neuerung jüngeren Datums ist die direkte Weiternutzung von Katalogdaten der Bibliotheken, die bei Recherchen direkt von Literaturverwaltungsprogrammen übernommen werden. Die Qualität und Konsistenz der Daten ist dabei von grosser Bedeutung. In der Nachnutzung der bibliothekarischen Metadaten liegt auch ein potentielles zukünftiges Kooperationsfeld zwischen Historikerinnen und Historikern und Bibliotheken. Ein konkretes Beispiel dafür ist das Projekt Metagrid, das Metadaten aus verschiedenen Projekten zusammenführt und auch bibliothekarische Daten nützt.
MONIKA DOMMANN (Universität Zürich) stellte zu Beginn ihre Bibliotheksbiographie vor. Diese begann mit dem Stöbern in der Stadtbibliothek, wobei sie mit dem Serendipitätsprinzip Bekanntschaft machte. Die Bibliothek des Centre Pompidou war ihr Zugang zu einer offenen Welt des intellektuellen Austausches, während die Lesesäle der Library of Congress oder der Staatsbibliothek zu Berlin weltabgewandte Orte mit exklusiven Schätzen für Eingeweihte waren. Digitale Portale wie Gallica und Hathi Trust brachten die Bibliothek schliesslich auf ihren Rechner. Im Anschluss thematisierte sie den durch die Digitalisierung ausgelösten medialen Umbruch und dessen Folgen für die historische Bibliothek der Gegenwart und Zukunft: Die anfänglich durch die Digitalisierung ausgelöste Euphorie, die u.a. besser zugängliche Informationen und die Vermehrung des Wissens versprach, ist längst abgeklungen. Bibliotheken können in der neuen digitalen Welt als Gegenpol zur Kommerzialisierung und Privatisierung von Informationen durch Unternehmen wie Google, Elsevier und Springer dienen, indem sie einen öffentlich zugänglichen service public für die longue durée leisten. Zudem können sie Räume der Präsenz im Hier und Jetzt in einer sonst immer virtuelleren wissenschaftlichen Welt bieten. Die digital humanities ihrerseits sind ein Versprechen für eine offene, kollaborative Wissenschaft, die dank neuer Tools neue Fragen stellen und neue Daten und deren Kontexte auswerten kann.
Die Diskussionen im Anschluss waren auf die Ausbildung der zukünftigen Historikerinnen und Historiker und das grundsätzliche Verhältnis zwischen Geschichtswissenschaft und Bibliotheken im Wandel ausgerichtet. Die Diskussionsteilnehmenden waren sich einig, dass die heutigen Geschichtsstudierenden zwar digital natives, ihre Recherchekenntnisse aber trotzdem nur oberflächlich sind und Schulungen in Informationskompetenz deswegen ein wichtiger Bestandteil des Geschichtsstudiums sein müssen. Die Schulungen sollten inhaltlich und zeitlich besser auf das Curriculum abgestimmt sein und damit besser den konkreten Bedürfnissen der Studierenden entsprechen. Die Kommunikation und Kooperation zwischen Geschichtswissenschaft und Bibliothek müssten verbessert, der Graben zwischen Bibliothek einerseits und Studierenden und Dozierenden andererseits überbrückt werden. Die Bibliothek könnte dazu u.a. Werbung für ihre Dienstleistungen machen und auch die Dozierenden sensibilisieren, die oft ebenso ungenügend über die Angebote informiert sind wie die Studierenden.
In der Diskussion wurde betont, dass es – im Sinne einer Quellenkritik der Bibliothek – wichtig ist, den Kontext der Bestände und Daten der Bibliotheken zu kennen. Gefordert wurde in dieser Sache volle Transparenz seitens der Bibliotheken: Was steckt konkret hinter den schönen neuen digitalen Produkten und Dienstleistungen? Welche Bestände deckt der Bibliothekskatalog genau ab?
Im Hinblick auf die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Bibliotheken und der Geschichtswissenschaft wurde die Wichtigkeit von guten bzw. besseren Metadaten seitens der Bibliotheken betont. Und nicht zuletzt dürfe auch der Printbestand nicht vernachlässigt werden. Diese Veranstaltung war hoffentlich lediglich der Auftakt zu einem regelmässigen und erfolgreichen Austausch zwischen Historikerinnen und Bibliothekaren.