Verantwortung: Francesca Falk
Referierende: Christof Mauch / Leander Diener / Francesca Falk
Soziale Bewegungen hätten die Geschichtswissenschaft geprägt – so FRANCESCA FALK (Bern) zu Beginn des Panels – ohne sie wären viele geschichtswissenschaftliche Forschungsbereiche unvorstellbar. Ohne die Umweltbewegung gäbe es beispielsweise keine Umweltgeschichte und ohne die Frauenbewegung keine Frauen- und Geschlechtergeschichte. Die Klimabewegung werde die historische Forschung ebenfalls nachhaltig beeinflussen und neue Forschungszweige eröffnen. Die Frage, was die Klimawende für die historische Forschung bedeute, werde in naher Zukunft an Dringlichkeit gewinnen. Die Geschichtswissenschaften ermöglichten uns das Verständnis, wie die Gegenwart zu dem geworden sei was sie ist und stellten die Welt in ihrer Veränderlichkeit dar. Im folgenden Panel gehe es den drei Präsentierenden darum, zu fragen, was die Klimawende für das wissenschaftliche Arbeiten von Historikerinnen und Historiker bedeute und welche neuen Denkräume dadurch eröffnet werden könnten. Im Wechsel zwischen Präsentations- und Diskussionsrunden konnten so auch mögliche zukünftige Forschungsschwerpunkte aufgezeigt werden.
CHRISTOF MAUCH (München) legte in seinen Ausführungen dar, welche Herausforderung für die Geschichtswissenschaft im Zeitalter des Anthropozäns entstünden. Am Beginn seiner Präsentation stand eine Frage, die ihm schon Jahre zuvor einmal gestellt wurde: «Von welcher Wissenschaftsdisziplin können wir am meisten lernen?» Christoph Mauch beantwortete sie am Panel so, dass die Biologie uns ganz viel über die Beziehungen zwischen Mensch und Natur beibringen könne. Dem Menschen fehle das Verständnis dafür, dass es eine Welt gebe, die er nicht beeinflussen könne. Um das zu illustrieren, führte er das Beispiel des Unabhängigkeitskrieges in den USA an. Seine These dazu lautete, dass ein Grund für den Erfolg der Amerikanerinnen und Amerikaner auch darin zu suchen sei, dass die amerikanischen Soldaten gegenüber Parasiten (z.B. Mücken, die Malaria übertragen) viel resistenter gewesen seien, als die britischen Soldaten. So seien die britischen Soldaten denn auch reihenweise an auf diese Weise übertragenen Krankheiten gestorben und dieser Umstand habe eine wichtige Rolle bei der britischen Niederlage gespielt. Das Anthropozän verglich er mit der Krümmung eines Hockeyschlägers. Die Klimakurve zeige steil nach oben und ermahne damit zum dringlichen Handeln. Mauch plädierte dafür, dass Mensch und Tier nicht mehr als einzelne Entitäten gedacht werden, sondern als durch- und miteinander beeinflusst, als Wesen, die zusammenarbeiten sollten.
Eine Frage, die Mauch im Anschluss an seine Ausführungen gestellt wurde, war, ob es nicht eine Historisierung der Biologie brauche, um als Geschichtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler überhaupt mit dieser Kategorie arbeiten zu können. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie Biologie das erforscht und herausgefunden habe, was wir heute wissen würden, sei auf jeden Fall wichtig, beantwortete Mauch die Frage.
LEANDER DIENER (Zürich) beleuchtete anhand des Begriffs der Interessenpolitik ebenfalls die Beziehungen zwischen Mensch und Tier. Anhand mehrerer Beispiele illustrierte Diener die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Tier. Unter dem Überbegriff der «Produktion» legte er dar, wie sich Emotionen auf den Geschmack und die Konsistenz von Fleisch auswirken können. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hätten neue Erkenntnisse in der Physiologie zunehmend dazu geführt, dass Änderungen in der Tierhaltung vorgenommen wurden, um die Fleischqualität zu verbessern. Dies habe sich auch auf den «Konsum» ausgewirkt, das zweite Stichwort, welches Diener genauer ausführte. Mit gezielten Marketingkampagnen sollte der schlechten Publicity entgegengewirkt werden. Schliesslich führte er auch noch aus, inwiefern Tierversuche plötzlich als problematisch angesehen wurden, als klar war, dass auch Tiere Emotionen und vor allem Stress empfinden können. Tiere verfügten also über mit dem Menschen vergleichbare neurophysiologische Empfindungen, was die Anerkennung von Subjektivität bedinge.
In der anschliessenden Fragerunde wurde Diener unter anderem gefragt, inwiefern sein verhaltener Optimismus zu erklären sei, wenn doch die Abwendung der Klimakatastrophe bedingen würde, dass jede und jeder den eigenen Fleischkonsum sofort einstellen müsste. Es gehe auch darum, Geschichte immer wieder zu erzählen und Narrative zu liefern, auf denen aufgebaut werden könne, war die Antwort des Referierenden.
Francesca Falk referierte zur Erwerbsarbeit und warum es eine «Entnaturalisierung»1 dieser brauche. Sie stellte am Anfang klar, dass es sich bei ihrer Präsentation nicht um eine abgeschlossene Studie handle, sondern um Überlegungen, die in ein zukünftiges Forschungsprojekt einfliessen sollen. Erwerbsarbeit habe in der Schweiz eine sehr zentrale Stellung. So stehe bei der Diskussion um eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit auch das Überfremdungsargument schnell im Zentrum der Debatte. Arbeitsmigrantinnen und -migranten seien für die Erwerbsarbeit in der Schweiz zentral gewesen, gerade auch die temporären Arbeitskräfte (Saisonniers). Die in dieser Form angestellten Arbeitstätigen hatten keine soziale Absicherung und/oder anderweitige Sicherheiten in Bezug auf ihren Job. Sie hätten ihre Familie oftmals nicht in die Schweiz nachholen dürfen und seien so in einer sehr isolierten Stellung gewesen. Bei den Migrantinnen und Migranten lasse sich dadurch eine sehr starke Konzentration auf die Erwerbsarbeit feststellen. In den letzten Jahren habe es eine vermehrte Integration der Frauen in die Erwerbsarbeit gegeben. Gleichzeitig sei jedoch die gleichwertige Integration der Männer in die Care-Arbeiten nicht auszumachen. Es sei deshalb notwendig, eine grundsätzliche Aufwertung von nicht als Erwerbsarbeit angesehenen Berufszweigen vorzunehmen.
In der anschliessenden Diskussionsrunde ging es um die Frage, ob die nicht-menschliche Erwerbsarbeit nicht auch mitgedacht werden müsste, was die Referentinnen und Referenten grundsätzlich bejahten. Auch wurde die Frage aufgegriffen, ob wir (der Mensch) nicht eine gewisse Machtlosigkeit gegenüber den Entwicklungen im Bereich der Klimaveränderungen hätten und ob dadurch nicht die Gefahr bestehe, dass der Mensch nichts an der Situation zu verändern vermöge. Christof Mauch verwies bei dieser Frage erneut darauf, dass wir die Welt, die wir eigentlich brauchten, durch unseren Fortschritt zerstören würden. Diese Tatsache verleihe dem Menschen aber wiederum Macht und wir müssten gleichzeitig auch anerkennen, dass unser Gegenüber immer eine eigene agency besitze.
Das Panel hat sehr viele Fragen und Herausforderungen aufgeworfen, die es in naher Zukunft zu bearbeiten gilt, weil das Thema Klimakrise immer akuter wird. Wie Historikerinnen und Historiker zukünftig an das Thema herangehen werden, kann auch darüber bestimmen, wie die Gegenwart wahrgenommen und genutzt wird.
1 Der Begriff wird vor allem in den Gender Studies verwendet. Mit der «Entnaturalisierung» von Geschlecht ist gemeint, dass die Selbstverständlichkeit von unhinterfragten Kategorien (z.B. «Mann» und «Frau») aufgedeckt und hinterfragt wird. Im vorliegenden Fall also handelt es sich um den Versuch, der Erwerbsarbeit als Kategorie ihre Selbstverständlichkeit zu nehmen und unser Konzept derselben grundlegend zu hinterfragen. (Vgl. Nina Degele: Anpassen oder unterminieren: Zum Verhältnis von Gender Mainstreaming und Gender Studies, in: Dorothea Lüdke, Anita Runge, Mechthild Koreuber: Kompetenz und/oder Zuständigkeit. Zum Verhältnis von Geschlechtertheorie und Gleichstellungspraxis, Wiesbaden 2005, S. 81.)
Christof Mauch: More-than-Human Histories: Herausforderung für die Geschichtswissenschaft im Zeitalter des Anthropozän
Leander Diener: Interessenpolitik. Vergemeinschaftung und nicht-menschliche Subjektivität im neuen Klima-regime
Francesca Falk: Erwerbsarbeit «entnaturalisieren»
Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 6. Schweizerischen Geschichts
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