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Panel: Macht und Weiblichkeit – historische und zeitgenössische Annäherungen an Handlungsräume mächtiger Frauen

Autor / Autorin des Berichts: 
Janna Kraus
jannamkraus@gmail.com
Universität Zürich

Zitierweise: Kraus, Janna: Panel: Macht und Weiblichkeit – historische und zeitgenössische Annäherungen an Handlungsräume mächtiger Frauen, infoclio.ch Tagungsberichte, 2016. Online: infoclio.ch, <http://dx.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0139>, Stand:


Verantwortung: Stefanie Schälin / Regina Wecker
Referentinnen: Stefanie Schälin / Regina Wecker
Kommentar: Katrin Meyer

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Ein beträchtlicher Block von Panels der 4. Schweizerischen Geschichtstage widmete sich der Verknüpfung von Geschlecht und Macht. So auch das Panel unter der Leitung von STEFANIE SCHÄLIN (Basel) und REGINA WECKER (Basel). Unter dem Titel Macht und Weiblichkeit – historische und zeitgenössische Annäherungen an Handlungsräume mächtiger Frauen sollte die gestalterische Funktion von machtvollen Frauen in einflussreichen Positionen hinsichtlich der Setzung von Normen und Praktiken der Weiblichkeit in den Blick genommen werden.

Schälin präsentierte den ersten Input unter dem Titel „Hegemoniale Weiblichkeit(en)?“ Eine Untersuchung von machtvollen Frauen aus der schweizerischen Wirtschaftselite. Sie stellte im Anschluss an die Arbeit von Rebekka Habermas die Frage, welchen Anteil Frauen an der Prägung des weiblichen Lebens durch eine aktive Setzung von Normen und Werten haben können. Zu diesem Zwecke hat sie sich in qualitativen, narrativ angelegten Interviews mit Schweizer Topmanagerinnen und (Ehe-)Partnerinnen von Schweizer Topmanagern auseinandergesetzt. Aus den zu gewinnenden empirischen Befunden entwickelt Schälin Ansätze zur Theorie einer hegemonialen Weiblichkeit in Anknüpfung an die bereits stärker etablierte hegemoniale Männlichkeit (Connell u.a.). Auch wenn Schälin, wie sie betonte, noch am Anfang der systematischen Analyse steht, waren ihre bisherigen Beobachtungen bereits aufschlussreich: Tendenziell wird von den (Ehe-)Partnerinnen der Topmanager ein konservativeres Rollenverständnis von Weiblichkeit (re-)produziert, was gerade auch von den weiblichen Topmanagerinnen spezifisch bemerkt wurde. Interessant ist hier, dass die Partnerinnen trotz ihres Anteils an der Aufrechterhaltung der hegemonialen bürgerlichen Geschlechterordnung ein Rechtfertigungsbedürfnis aufwiesen und für ihre eigenen Töchter grössere Unabhängigkeit anstrebten. Es zeigte sich zudem, dass das Verhältnis von Partnerinnen und Topmanagerinnen nicht unkompliziert ist. Dem Interviewmaterial zufolge wird dies etwa bei sozialen Anlässen wie Firmenausflügen deutlich, wenn sich die Frauen der beiden Gruppen im Umgang miteinander schwer tun. Auf Seiten der Topmanagerinnen wird teilweise Neid und Eifersucht der Partnerinnen vermutet und stellenweise auch versucht, die anderen Frauen ebenfalls zu beruflichem Ehrgeiz zu animieren. Dennoch würden beide Frauengruppen klar daran arbeiten, das Rollenverständnis der bürgerlichen Wirtschaftselite aufrechtzuerhalten, so Schälins vorläufiger Befund.

Mit Regina Weckers Referat Zufallskarrieren? Schweizer Unternehmerinnen im 19. und 20. Jahrhundert rückten zwei besondere biographische Narrative in den Vordergrund. Es wurde schnell deutlich, dass Wecker in den beruflichen Werdegängen der Unternehmerinnen Verena Conzett-Knecht und Elisabeth Feller keinesfalls Zufallskarrieren sieht. Vielmehr attestierte sie den beiden Frauen angesichts der Hindernisse, die es zur Übernahme der beiden Familienunternehmen zu überwinden galt, einen klaren Willen zum Ergreifen und Gestalten der ihnen zur Verfügung stehenden Machtmöglichkeiten. Besonders sei dies bei Conzett-Knecht erkennbar, die nach dem Selbstmord ihres Mannes und mit vier zu versorgenden Kindern das marode Unternehmen übernahm und durch technische und kaufmännische Innovationen in den Erfolg führte. Als der Vater von Elisabeth Feller überraschend verstarb, hatte er ebenfalls keinen direkten Nachfolger vorgesehen. Die gerade einmal 21-Jährige übernahm das Unternehmen zwar mit einem angefangenen Geographiestudium an der London School of Economics, aber ohne jegliche Berufserfahrung. Auch sie konnte sich innerhalb des Betriebs durchsetzen.
Was beide Frauenbiografien zudem verbindet, ist der Einsatz für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ihrer MitarbeiterInnen. Bei Conzett-Knecht ist eine klar sozialistisch geprägte Vorstellung einer Entlastung der Angestellten zur Ermöglichung von politischer Bildung und Tätigkeit erkennbar. Auch Elisabeth Feller war sehr um das Wohl ihrer ArbeiterInnen bemüht. Sie setzte sich ausserhalb des Betriebs für die Eröffnung von Kinderkrippen nach neusten pädagogischen Erkenntnissen ein, liess Kochkurse für Männer erteilen und bemühte sich um die Integration von ArbeiterInnen mit Behinderungen.

In ihrem Kommentar führte KATRIN MEYER die Erkenntnisse der beiden Referate schliesslich zusammen und betonte deren machttheoretischen Grundlagen. Sie tat dies, indem sie Ideen von Adriana Cavarero aus der Gruppe der Mailänderinnen (einem feministischen Autorinnenkollektiv um Philosophinnen wie Cavarero und Luisa Muraro) einbrachte und damit versuchte, Rückschlüsse auf ein Verständnis von weiblicher Macht zu ziehen. Auffällig war in diesem Zusammenhang, dass sich sowohl Conzett-Knecht als auch Feller zwar für das Wohl anderer Frauen einsetzen und teilweise auch Unterstützung von Frauen erhielten – Conzett-Knecht durch ihre Schwiegertochter, Feller durch ihre Mutter –, aber anderen Frauen nicht ebenfalls zu einer Karriere verhalfen; ein Verhalten, dass den Vorstellungen der Mailänderinnen von Frauennetzwerken und gegenseitiger Unterstützung entgegensteht. Meyer betonte zudem die Unterschiede zwischen den Managerinnen und den Unternehmerinnen. Letztere hätten einen bedeutend grösseren Spielraum zur Gestaltung und Auslebung ihrer Handlungsfreiheit als Erstere. Sie machte zudem klar, dass der Prozess der Arbeitsmarktindividualisierung, der diesen Frauen abverlangt werde, klar androzentrisch und damit nicht problemlos mit der Entwicklung einer weiblichen Machtentfaltung vereinbar sei und die Berufstätigkeit von Frauen bereits als weibliche Norm gesehen werden könne. Zudem ginge es bei weiblicher Macht, so es sie denn geben könne, nicht nur um eine power to, eine gestalterische Macht, sondern im Falle dieser Wirtschaftsfrauen und Unternehmerinnen gerade auch um eine power over, eine Verfügungsgewalt über Untergebene. Aus diesem Zusammenspiel von Theoriegewinnung aus Empirie, historischen Fallbeispielen und philosophischem Fundament ergab sich eine angeregte und anregende Diskussion über die Gestaltung von Geschlechterrollen und die Ausübung von Macht.



Panelübersicht:

Schälin, Stefanie: „Hegemoniale Weiblichkeit(en)?“ Eine Untersuchung über machtvolle Frauen aus der schweizerischen Wirtschaftselite

Wecker, Regina: Zufallskarrieren? Schweizer Unternehmerinnen im 19. und 20. Jahrhundert

Veranstaltung: 
4. Schweizerische Geschichtstage 2016
Organisiert von: 
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte und Universität Lausanne
Veranstaltungsdatum: 
11.06.2016
Ort: 
Lausanne
Sprache: 
d
Art des Berichts: 
Conference