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Panel: Instrumentalisierungen von Erinnerung: Beziehungshandeln von Klöstern und Adligen

Autor / Autorin des Berichts: 
Matthias Meier, Universität Zürich
matthias.meier4@uzh.ch


Zitierweise: Meier, Matthias: Panel: Instrumentalisierungen von Erinnerung: Beziehungshandeln von Klöstern und Adligen, infoclio.ch Tagungsberichte, 2016. Online: infoclio.ch, <http://dx.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0126>, Stand:


Verantwortung: Tobias Hodel / Bettina Schöller
Referierende: Johannes Waldschütz / Tobias Hodel / Bettina Schöller
Kommentar: Bernard Andenmatten

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Die Geschichte von Klöstern ist seit dem Hochmittelalter eng an diejenige adliger Herrschaftsträger geknüpft. Jüngste Forschungsergebnisse ergaben jedoch, dass die Beziehungen von Adel und Kloster meist von kürzerer Dauer waren als bisher angenommen. Die historischen Quellen in Form von Urkunden, Gedenkbucheinträgen, Traditionsbüchern und Güterverzeichnissen widerspiegeln diese Beziehungen. Sie vermitteln auf den ersten Blick oftmals den Eindruck enger und kontinuierlicher Verbindungen zwischen den geistlichen Institutionen und ihren adligen Gründern. Da die Quellen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung häufig jedoch vergangene Ereignisse festhielten, können sie als Erinnerungszeugnisse untersucht werden. Gleichzeitig sind sie zudem Belege für die Kontaktaufnahme zwischen den Akteuren. Im Zentrum des Panels standen entsprechend die Fragen nach der Initialisierung und Aktivierung der Kontakte und den herrschaftssichernden Wirkungen durch die Instrumentalisierung der Erinnerung.

JOHANNES WALDSCHÜTZ untersuchte für seinen Vortrag Interaktion und Erinnerung – Die Beziehungen zwischen Reformklöstern und ihren gräflichen Stifterfamilien im Hochmittelalter die schriftlichen Quellen von vier Klöstern, die von der Hirsauer Reform beeinflusst worden waren. Dabei handelte es sich um Allerheiligen in Schaffhausen, St. Georgen im Schwarzwald, Zwiefalten und Isny. Waldschütz zeigte, in welchen Situationen und auf welche Art und Weise es zu einer Kontaktaufnahme und -intensivierung zwischen Stifterfamilie und Klosterkonvent kam. Dabei kristallisierten sich Schenkungen der Gründer an den Konvent heraus, die in den Quellen prominent gemacht wurden. Während Schenkungen ohne Datum lediglich auf die Menge der Güterübertragungen aufmerksam machen, zeigen chronologisch angeordnete Verzeichnisse dagegen die Konjunkturen der Verbindung von Adel und Kloster auf. Intensive Schenkungstätigkeit lässt sich vor allem in den Jahren nach einem Herrschafts- oder Vogteiwechsel feststellen.
Die klösterliche Geschichtsschreibung hielt adliges Handeln fest, womit sich das Kloster die langfristige Deutungshoheit über die Interaktionen von Kloster und Gründerfamilie sicherte. Indem die Initiative für die Anlage der Quellen von den Klöstern ausging, konstruierten die Konvente ihre eigene Geschichte, welche aufs Engste mit derjenigen der Stifterfamilie verbunden wurde. Die Quellen reflektieren also tatsächliche und konstruierte Bindungen der Adligen an ein Kloster.

BETTINA SCHÖLLER zeigte mit dem Vortrag Aktivierte Erinnerung: Die Verbindung Muris mit den Habsburgern 1027-1500 auf, in welchen Momenten der Adel oder der Klosterkonvent Erinnerung instrumentalisierte, um die gegenseitige Anbindung neu zu festigen. Die gemeinsame Geschichte des Benediktinerkonvents und der Habsburger wurde im Mittelalter in mehreren, sich partiell explizit widersprechenden Quellen festgeschrieben. Gerade diese Widersprüchlichkeit macht aber die Konstruktion gemeinsamer Vergangenheit, eine „invention of tradition“, gut wahrnehmbar, weil die teilweise lange Zeit nach den Ereignissen verfassten Quellen die Vergangenheit den aktuellen Bedürfnissen entsprechend formten.
Die Notwendigkeit für das Kloster, die eigene identitätsstiftende Geschichte in bestimmten Momenten festzuhalten, wird am Beispiel der frühhabsburgischen Grablegetradition sichtbar. Genau zu dem Zeitpunkt, als sich ein möglicher Bruch abzeichnete, wurde Schriftgut produziert, das die Kontinuität der Verbindung zwischen Adel und Kloster unterstreicht. Ob sich tatsächlich eine Zäsur in der habsburgischen Bestattungspraxis ereignete, hinterfragt Schöller kritisch und weist nach, dass bis zur habsburgischen Linientrennung 1232 alle Habsburger, die in der Nähe von Muri gestorben sind, in ihrer Stiftung in Muri beigesetzt wurden. Die Quellen darüber sind dementsprechend Zeugnisse der Aktivierung von Erinnerung.

TOBIAS HODEL referierte über die Materialisierung von Beziehung – Königsfelden 1300-1600 und zeigte das komplexe Beziehungshandeln zwischen Kloster und adligen Stiftern auf. Agnes von Ungarn verknüpfte ihre Stiftungen mit Anordnungen, welche direkt in die klösterliche Lebenswelt eingriffen. Die Stifterin sicherte sich eine intensive Beziehung mit dem Klarissenkonvent, indem sie das Kloster verpflichtete, ihre Ordnungen regelmässig zu verlesen, die Urkunden mit gut sichtbaren Siegeln versah und sich als Mittlerin zwischen Kloster und anderen Schenkern positionierte. Doch bereits kurz nach dem Ableben der Agnes handelte jeweils der Konvent sein Verhältnis zum Stiftergeschlecht neu aus. Von den habsburgischen Herzögen Leopold III. und Albrecht III. wurden neue, gegen den Willen von Agnes wirkende Urkunden ausgestellt. Ebenfalls zeigen ein Vidimus Friedrichs III. von 1441 und ein Codex von ca. 1480 die punktuelle Aktivierung und Materialisierung des Verhältnisses.
Hodel kommt zum Schluss, dass Königsfelden kein habsburgisches Kloster, sondern eine königliche Stiftung war. Zum einen weil sich Agnes zeitlebens als Königin von Ungarn anreden liess, zum andern weil der Konvent erst nach 1520 durch das Eingreifen des Stadtstaates Bern als explizit „habsburgisch“ bezeichnet wurde. Letzteres kann anhand der von den Bernern an den Königsfeldern Schriftstücken angebrachten Dorsualnotizen eruiert werden, in denen die Herzöge von Österreich und Agnes hervorgehoben wurden. Dadurch wurde ein Übergehen der Herrschaft über Königsfelden von Habsburg zu Bern konstruiert.

Im Kommentar ergänzte BERNARD ANDENMATTEN die Referate aus der Perspektive der französischsprachigen Forschung. Er verglich die Ergebnisse mit den Klöstern St. Maurice d’Agaune und Lac de Joux. Dabei betonte er die in der Schweiz lange Zeit vernachlässigte Adelsforschung und verwies darauf, dass auch die Habsburger, das für Muri und Königsfelden zentrale Adelsgeschlecht, als solches zu wenig berücksichtigt wurde.
Anschliessend zeigte Andenmatten die Problematik rund um die Konstruktion von Kontinuität in der klösterlichen Geschichtsschreibung auf, indem er das Dynastenkloster als ein idealisierendes und simplifizierendes Modell ausmachte. Die Idealisierung sei nicht nur im Referat von Waldschütz zu sehen, der diese Problematik im Zusammenhang mit süddeutschen Reformklöstern behandelte und die Verformung der klösterlichen Erinnerung an die adligen Gründer aufzeigte, sondern auch beim Kloster Königsfelden, das erst rückblickend als dynastische Gründung der Habsburger beschrieben wurde, wie Hodel nachwies. Dass dem Modell des dynastischen Eigenklosters eine hochkomplexe und vielfach spät überlieferte Verbindung zwischen Adelsgeschlecht und Klosterkonvent zugrunde liegt, ergaben die Ausführungen von Schöller sowie die Beispiele aus der Romandie im Kommentar. Andenmatten erklärte zudem, dass im 16. Jahrhundert die Gründung vieler Klöster einem einzigen Stifter und dadurch einem einzigen Adelsgeschlecht zugeschrieben wurde, was eine adelsdynastische Kontinuität im Beziehungshandeln mit Klöstern suggeriert und vereinfachend wirkt, da Klöster ein komplexeres Beziehungsnetz hatten als die Quellen behaupten. Als letzten Aspekt rückte Andenmatten die klösterliche Observanz in den Blick, wobei er die Beziehung zwischen Adel und Kloster als massgeblich von der Ordenszugehörigkeit des Konvents abhängig sieht.

Insgesamt ermöglichte die zentrale Frage nach Kontinuitäten und Brüchen in der Geschichte von Adel und Kloster viele Einblicke in diverse Erinnerungsstrategien, wobei die Instrumentalisierung der Erinnerung durch das Anlegen schriftlicher Quellen herausragte. Die Referierenden arbeiteten die Momente der Verschriftlichung heraus und machten somit die situativ abhängige Aktivierung der Erinnerung sichtbar. Diese Kristallisationspunkte der Geschichte zeigen zwar eine gegenseitige Abhängigkeit von Klosterkonvent und Adelsgeschlecht, aber auch die klösterliche Deutungshoheit über die gemeinsame Geschichte.

Panelübersicht:

Waldschütz, Johannes: Interaktion und Erinnerung – Die Beziehungen zwischen Reformklöstern und ihren gräflichen Stifterfamilien im Hochmittelalter

Schöller, Bettina: Aktivierte Erinnerung: Die Verbindung Muris mit den Habsburgern 1027-1500

Hodel, Tobias: Königsfelden und Habsburg. Beziehungserneuerung über 200 Jahre (1308-1530)

Veranstaltung: 
4. Schweizerische Geschichtstage 2016
Organisiert von: 
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte und Universität Lausanne
Veranstaltungsdatum: 
10.06.2016
Ort: 
Lausanne
Sprache: 
d
Art des Berichts: 
Conference