Zur Feier des zweijährigen Bestehens von recensio.net, einer Rezensionsplattform für die europäische Geschichtswissenschaft, fand in München vom 31.1.-1.2.2013 die Tagung „Rezensieren – Kommentieren – Bloggen: Wie kommunizieren Geisteswissenschaftler in der digitalen Zukunft?“ statt. Thematisiert wurden nicht nur die neuen Kommunikationsmittel, sondern auch die vielfältigen digitalen Publikationsformen und die Bewertungsinstrumente.
Ganz im Sinne des Tagungskonzepts wurden die digitalen Medien zur Kommunikation genutzt: So waren die Referierenden im Vorfeld eingeladen, Beiträge im eigens für die Tagung eingerichteten Blog zu publizieren. Während der Veranstaltung konnten die Tweets mit dem Hashtag #rkb13 auf einer Leinwand – einer so genannten Twitterwall – mit verfolgt werden.1 Und im Anschluss der Tagung werden alle Beträge als Video-Aufzeichnungen auf L.I.S.A., dem Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung, online zur Verfügung gestellt.
REFERATE
Dem Anlass entsprechend eröffnete LILIAN LANDES (Bayerische Staatsbibliothek, Zentrum für Elektronisches Publizieren) die Tagung mit dem Referat „recensio.net – eine Bilanz zum zweiten Geburtstag“. recension.net ist eine Plattform, die Buchbesprechungen geschichtswissenschaftlicher Literatur aus zahlreichen europäischen Zeitschriften vereint. Landes berichtete über die Entwicklung und die Lernprozesse seit der Gründung von recensio.net und betonte dabei, mit welchen Argumenten die inzwischen mehr als 30 Zeitschriften als Kooperationspartner gewonnen werden konnten: Die Sichtbarkeit der Rezensionen werde erhöht, die Langzeitarchivierung garantiert und die einzelnen Beiträge mit Metadaten angereichert. Durch die thematische, geografische und zeitliche Erschliessung aller Buchbesprechungen werde recensio.net auch dem Nutzerbedürfnis nach Optionen einer gezielten Suche gerecht. Die europaweite Ausrichtung und die Mehrsprachigkeit würden zudem nationale Grenzen aufbrechen.
Landes gestand aber auch ein, dass die Versuche, mithilfe von Web2.0-Funktionen eine Interaktion zwischen den Autorinnen und den Rezensenten zu realisieren, bisher wenig fruchteten. Insbesondere die Kommentarfunktion werde kaum genutzt. Dem soll ein neues Feature Abhilfe schaffen, mit dem nun auch Bücher kommentiert werden können, die nicht vorgängig rezensiert wurden. Durch die Moderierung aller Kommentare soll die Qualität gesichert bleiben.
Auch GUDRUN GERSMANNs (Universität zu Köln) Referat „Über die Rolle der wissenschaftlichen Rezension im Zeitalter sich wandelnder Publikationsmedien“ war ganz dem Rezensieren gewidmet. Gersmann zeichnete zu Beginn ihres Vortrages die Geschichte der seit dem 17. Jahrhundert bekannten Buchbesprechungen und der im 18. Jahrhundert aufkommenden Rezensionsorgane nach. Ihre Ausführungen reichten bis in die Gegenwart, in der die digitalen Rezensionsforen die etablierten immer stärker zu verdrängen drohten.
Gersmann unterschied zwei Typen von Online-Rezensionsjournalen: Die bereits bestehenden Zeitschriften, die lediglich ihren Rezensionsteil digital präsentieren, und die genuinen Online-Gefässe. Am Beispiel der Zeitschrift Francia führte sie den Transformationsprozess aus, den eine Zeitschrift durchläuft, wenn ihre Rezensionen den Weg ins Internet finden. Sie unterstrich dabei die positive Resonanz auf diese Neuorientierung - insbesondere auch von Seiten der Rezensierenden. Auch wenn sich die Präsentationsform veränderte, blieben die wichtigsten Aufgaben des Rezensierens die Zusammenfassung und Beurteilung eines Werkes – was schon die „Bücherrichter“ im 18. Jahrhundert getan hatten.
Viel Gesprächsstoff lieferte Gersmann mit der abschliessenden Einschätzung, dass es die klassischen Rezensionen künftig schwer haben würden. Bedroht sieht Gersmann die Rezension aus drei Gründen, die sie als Thesen in den Raum stellte: Zum einen sei ein gewisser „Rezensentenschwund“ spürbar, denn aufgrund der geringen Karriererelevanz, dem Mangel an Zeit und der neuen Möglichkeiten, sich im wissenschaftlichen Umfeld bemerkbar zu machen, werde das Rezensieren zusehends unattraktiver. Zweitens würden sich durch die im Wandel begriffenen Publikationsformate auch die Art und die Form der Rezension verändern. Insbesondere für die Bedeutung der Monographie prognostizierte Gersmann eine düstere Zukunft: Werde diese von weniger statischen Publikationen wie beispielsweise den „Living Books“ abgelöst, würde sich auch die Bewertung auf Neuerungen innerhalb der Publikation oder einzelne Abschnitte ausrichten. Und schliesslich warf Gersmann die Frage auf, ob der prototypische Rezensent – der überlegene Experte – den Trend zu kollaborativen Arbeitsweisen und Medien überleben werde. Sie schloss ihren Vortrag mit der Frage, wer künftig die Beurteilungen vornehme – die Expertinnen und Experten oder die Crowd.
Der erste Konferenztag wurde durch PETER FUNKEs Vortrag mit dem Titel „Ausnahme oder schon Selbstverständlichkeit? Zum Spannungsfeld alter und neuer Formen des Publizierens und Kommunizierens in den Geisteswissenschaften“ abgerundet. Funke sah in der Tagung einen geeigneten Anlass, nicht nur über das zweijährige Bestehen von recensio.net nachzudenken, sondern über die Akzeptanz der neuen Kommunikationsmittel in den Wissenschaften im Allgemeinen zu reflektieren. Tatsächlich würden sich nämlich in der bereits laufenden Diskussion immer wieder neue Klüfte zwischen den Insidern, die sich intensiv mit den Sozialen Medien und den digitalen Forschungsinstrumenten auseinandersetzen, und den wissenschaftlichen Fachgemeinschaften, die das Internet auf eine pragmatische Nutzung beschränkten, auftun. Die fehlende Koordination zwischen diesen Akteuren führe dazu, dass das Potential der bereits bestehenden Angebote nicht optimal ausgeschöpft werde. Schwierigkeiten sieht Funke zudem in der Unübersichtlichkeit der bestehenden Infrastruktur und in der Kurzlebigkeit vieler kleinerer, teils hochspezialisierter Projekte. Auch diesbezüglich seien eine bessere Koordinierung, eine Bündelung und eine Priorisierung sowie nachhaltige Infrastrukturmassnahmen gefordert.
Mit der Digitalisierung des Wissens würden neue Anforderungen an Forschende, Infrastruktur und Institutionen entstehen. Um angemessen darauf reagieren zu können, brauche es aber mehr Rückkopplung zwischen den digitalen Projekten und den Fachrichtungen. Und zugleich müsse die wissenschaftliche Gemeinschaft ihre Bedürfnisse klarer formulieren und sich bezüglich der zukünftigen Entwicklungen positionieren. So beendete Funke sein Referat mit der Aufforderung zu einem Dialog zwischen den Protagonisten der Digital Humanities und den eher klassisch ausgerichteten Fachgesellschaften der Geisteswissenschaften.
Der zweite Konferenztag wurde von JOHANNES PAULMANN (Leibniz-Institut für Europäische Geschichte Mainz) mit dem Referat „Chancen und Nebenwirkungen: Neue und alte Formen der Wissenschaftskommunikation in der Geschichte“ eröffnet. Paulmann zeigte anhand eines gewöhnlichen Tagesablaufes auf, wie weit die digitalen Medien bereits in den wissenschaftlichen Arbeitsalltag integriert sind und machte damit deutlich, dass wir längst in der „digitalen Zukunft“ angekommen sind. Ob E-Mails, kollaboratives Arbeiten an Anträgen oder anderen Dokumenten in GoogleDrive, (Vorstellungs-)Gespräche via Skype, das Lesen oder Schreiben von Blogs, Recherchieren und Bestellen in Katalogen und Datenbanken, Lesen von Manuskripten am Bildschirm – vieles passiere im Internet. Die wissenschaftliche Kommunikation sei schon heute stark von den digitalen Medien – mit all ihren Vorteilen und Nebenwirkungen - geprägt.
Paulmann stellte anschliessend das Projekt Europäische Geschichte Online (EGO) vor, ein multimediales Netzwerk, das wissenschaftliche Beiträge zur europäischen Geschichte der Neuzeit frei zur Verfügung stellt. Paulmann nannte EGO als Beispiel dafür, dass Open Access auch ohne Verlag funktioniere. Der freie Zugang zu wissenschaftlicher Literatur sei ein unanfechtbares Ziel, man müsse aber die Kosten diskutieren: Open Access habe nämlich finanzielle Konsequenzen für die Produzierenden der Texte, da sich mit diesen auf dem Markt nichts mehr erwirtschaften lasse.
„Muss ich das lesen? Wissenschaftliche Texte mit Ablaufdaum“ war der Titel des ebenso unterhaltsamen wie provokativen Referates von VALENTIN GROEBNER (Universität Luzern). Groeber zeigte sich in vielerlei Hinsicht kritisch gegenüber den digitalen Medien: Mit dem Internet seien viele Versprechen - wie etwa jene der universalen, demokratischen Verbreitung des Wissens oder der „Erlösung durch Beschleunigung“ – aufgekommen, die sich nicht bewahrheitet hätten. Netzernüchtert kritisierte Groebner, dass das Internet, die „Zukunft von gestern“, nicht nur keine neuen wissenschaftlichen Ideen, Texte oder Funde hervorgebracht habe, sondern dass die offenen, kollaborativen Medien auch viel Unnützes produzierten, weil sie sich nicht auf das Wesentliche konzentrierten – die Resultate. Stattdessen eigne sich das Internet (zu) gut für Unfertiges. In der unübersichtlichen Masse des Unfertigen gehe das Fertige unter, da geeignete Filtermechanismen fehlten. Im Überangebot an Publikationen sei es schwierig, das Lesenswerte zu finden. Und schliesslich liesse sich mit der Technik weder die Lesezeit vermehren, noch die Informationen verdichten. Dies führte ihn zur These, dass das Buch auch in Zukunft die vorrangige Publikationsform bleiben werde. Der entscheidende Vorzug des Buches sieht Groebner also nicht im Format der gedruckten Publikation, sondern darin, dass das Buch ein abgeschlossenes und damit stabiles Resultat sei, das anschliessend weiterverwendet werden könne. So habe die Entwicklung des Internets in den letzten 20 Jahren immerhin deutlich gemacht, wie das Buch funktioniere und was es leisten könne.
PODIUMSDISKUSSIONEN
Das Tagungsprogramm wies verhältnismässig wenig Referate auf, liess dafür aber umso mehr Raum für Diskussionen. Dies schuf den Rahmen, um der Forderung von Peter Funke nach einem intensiveren Dialog zwischen den Protagonisten der Digital Humanities und den Fachgesellschaften nachzukommen, insbesondere weil an der gut besuchten Tagung nicht nur Expertinnen und Experten im Umgang mit den digitalen Medien teilnahmen, sondern auch viele, die sich mit kritischer Stimme zu den neuen Publikations- und Kommunikationswegen äusserten. In den drei Diskussionsblöcken wurden vielfältige Themen aufgegriffen, wobei einige immer wiederkehrten und besonders kontrovers diskutiert wurden:
Ein Themenbereich war in den Referaten und Diskussionen allgegenwärtig: Open Access – der unbeschränkte und kostenlose Zugang zu wissenschaftlicher Information im Internet. Auffallend war dabei zunächst, dass die generell ablehnenden Stimmen immer weniger werden. Es scheint, als ob Open Access mittlerweile als unbestrittenes Ziel Anerkennung fände. Thematisiert wurde aber, ob Open Access Mehrkosten verursache und wer diese gegebenenfalls zu tragen habe. Diesbezüglich richtete sich der Blick mehrmals auf Grossbritannien, wo sich mittlerweile eine Pflicht zu Open Acces in wissenschaftlichen Publikationen durchgesetzt hat. Ungeklärt blieb einmal mehr, welche Rolle die Verlage in Zeiten des Open Access übernehmen sollen.
Auch die bereits viel diskutierte Frage der Qualitätssicherung blieb nicht aus, bezog sich aber nicht nur auf die Publikationen, sondern auch auf die Kommentarfunktionen und andere Bewertungsinstrumente. Das Internet biete nämlich nicht nur offenen Zugriff zu den Inhalten, sondern gleichzeitig auch die Möglichkeit, das Gelesene unmittelbar zu kommentieren und zu bewerten. Da nicht alle Kommentare inhaltlich bereichernd sind, moderieren heute die meisten Plattformen ihre interaktiven Foren, d.h. die Beiträge werden erst nach einer Kontrolle online geschaltet. In Zusammenhang mit der Qualitätskontrolle wurden wiederholt Fragen betreffend die Rolle der Expertinnen und Experten in den neuen Bewertungssystemen und ihres Verhältnisses zur (Netz-)Öffentlichkeit aufgeworfen. Die digitalen Kommunikationsmittel eröffneten neue Partizipationsmöglichkeiten über den Kreis der Fachgemeinschaft hinaus, sodass der Expertenstatus an Bedeutung verliere. Wie mit dem „Expertensturz“ umzugehen sei, blieb aber ebenfalls umstritten.
Sowohl Gersmanns These, wonach die abgeschlossene Monographie zunehmend an Bedeutung verliere, wie auch die gegenteiligen Ausführungen Groebners, wonach das Buch gerade wegen seiner statischen und stabilen Form auch in Zukunft seine Bedeutung bewahre, provozierten zahlreiche Wortmeldungen im Publikum und auf dem Podium. Das umfassende, abgeschlossene, von einer Autorin oder einem Autor verfasste Buch konkurriert anscheinend mit den in kollaborativer Arbeitsweise entstandenen und oftmals offenen Texten oder gar fragmentarischen Publikationen. Während die einen gerade die Vielfältigkeit der digitalen Publikationsformen schätzten, beklagten die anderen die Unübersichtlichkeit, die das Internet hervorbringe. Diskutiert wurde zudem, wie erfolgreich sich die altbekannten Publikationsverfahren ins Internet übertragen lassen und welche Chancen und Schwierigkeiten die im digitalen Raum neu entstandenen Formate mit sich bringen. Im Zentrum der Diskussion stand also weniger die Frage „print vs. digital“, sondern einerseits, welche der vielfältigen Publikationsformen sich für die unterschiedlichen Aufgaben innerhalb der Wissenschaft eignen, und andererseits, wie die besonders gelungenen Arbeiten sichtbar gemacht werden können.
Abschliessend drängt sich die Frage auf, ob es angesichts der viel erwähnten Flut an Publikationen im digitalen Zeitalter die Rezension nicht mehr den je braucht. Zusammenfassen und Bewerten sind nach wie vor wichtige Elemente der Wissenschaft. Auch in der digitalen Welt sollte die Rezension – in einem breiteren Verständnis – die Rolle eines Filters übernehmen, wobei qualitätsgesicherte Plattformen wie recensio.net den Ausgangspunkt bei der Suche nach lesenswerten Publikationen bilden können.
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1Die archivierten Tweets mit dem Hashtag #rkb13 sind im Redaktionsblog von de.hypotheses.org verfügbar: Maria Rottler, #rkb13 – Tweets bei der Tagung “Rezensieren – Kommentieren – Bloggen”, Redaktionsblog, 1.2.2013 (Abrufdatum: 4.2.2013).
Donnerstag, 31. Januar 2013
Begrüßung
Rolf Griebel (Bayerische Staatsbibliothek)
Gudrun Gersmann (Universität zu Köln)
Johannes Paulmann (Leibniz-Institut für Europäische Geschichte Mainz)
Panel 1: recensio.net zwei Jahre nach dem Onlinegang: Aussichten und Planungen für die Zukunft
Lilian Landes (Bayerische Staatsbibliothek, Zentrum für Elektronisches Publizieren)
recensio.net – eine Bilanz zum zweiten Geburtstag
Keynote
Gudrun Gersmann (Universität zu Köln)
Über die Rolle der wissenschaftlichen Rezension im Zeitalter sich wandelnder Publikationsmedien
Podiumsdiskussion
Moderation: Hubertus Kohle (Ludwig-Maximilian-Universität München)
Martin Baumeister (Deutsches Historisches Institut Rom)
Marko Demantowsky (Pädagogische Hochschule FHNW Basel)
Danny Millum (Reviews in History)
Abendvortrag
Peter Funke (Universität Münster)
Ausnahme oder schon Selbstverständlichkeit? Zum Spannungsfeld alter und neuer Formen des Publizierens und Kommunizierens in den Geisteswissenschaften
Freitag, 01. Februar
Panel 2: Wissenschaftskommunikation in Europa – Entwicklungstendenzen? Erfolgsmodelle?
Keynote
Johannes Paulmann (Leibniz Institut für Europäische Geschichte Mainz)
Chancen und Nebenwirkungen: Neue und alte Formen der Wissenschaftskommunikation in der Geschichte
Podiumsdiskussion
Moderation: Torsten Reimer (Joint Information Systems Committee London)
Etienne Benson (Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin)
Peter Haslinger (Herder-Institut Marburg)
Matthias Kohring (Universität Mannheim)
Claudine Moulin (Universität Trier)
Panel 3: Die Generation der Nachwuchswissenschaftler: Werden neue Formen des Publizierens Rezensionen überflüssig machen oder (nur) ihre Gestalt verändern?
Keynote
Valentin Groebner (Universität Luzern)
Muss ich das lesen? Wissenschaftliche Texte mit Ablaufdatu
Podiumsdiskussion mit Vertretern von Förderinstitutionen und Nachwuchswissenschaftlern
Moderation: Thierry Chervel (perlentaucher.de)
Oliver Hülden (Ludwig-Maximilian-Universität München)
Jonas Liepmann (iversity.org)
Anne Lipp (Deutsche Forschungsgemeinschaft, Scientific Library Services and Information Systems)
Michael Sonnabend (Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft)
Winfried Schulze (Stiftung Mercator, Hochschulratsvorsitzender Universität Paderborn)
Fazit / Bilanz / Abschlussdiskussion/