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infoclio.ch-Tagung 2012: Zugangs- und Nutzungsrechte für historische Quellen im Web

Autor / Autorin des Berichts: 
Pascal Föhr, www.hsc.hypotheses.org
pascal.foehr@unibas.ch


Zitierweise: Föhr, Pascal: infoclio.ch-Tagung 2012. Zugangs- und Nutzungsrechte für historische Quellen im Web, infoclio.ch Tagungsberichte, 2012. Online: infoclio.ch, <http://dx.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0020>, Stand:


Am 2. November 2012 fand im Kornhausforum in Bern die Jahrestagung von infoclio.ch, in Zusammenarbeit mit e-codices, zum Thema 'Zugangs- und Nutzungsrechte für historische Quellen im Web' statt. infoclio.ch ist die wichtigste Organisation für den Aufbau einer digitalen Infrastruktur der Schweizer Geschichtswissenschaften, e-codices unterhält die umfangreichste virtuelle Bibliothek der Schweiz für mittelalterliche Manuskripte.

Das Thema versprach besonders für Institutionen interessant zu sein, welche digitale Daten (Dokumente, Bilder, zugehörige Kommentare usw.) im Web zur Verfügung stellen oder stellen wollen, insbesondere Bibliotheken und Archive. Diese interessieren sich hauptsächlich für den Schutz der und die Kontrolle über die eigenen Daten, jedoch ist die rechtliche Absicherung des Zugangs und der Nutzung noch nicht klar. Besonderes Kopfzerbrechen scheint diesen Institutionen die Ausgestaltung der Rechtspraxis zu bereiten, die relativ liberale Gesetzgebung wird aber nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Die Referate behandelten, jeweils unterschiedlich gewichtet, die beiden Hauptschwerpunkte Projekte und Institutionen, welche digitale Daten im Web zugänglich machen oder als Interessensgemeinschaft agieren, und die rechtliche Problematik und mögliche Lösungen für die Präsentation von digitalen Inhalten im Web. Als Abschluss der Veranstaltung wurden in einer Podiumsdiskussion die wichtigsten Fragen nochmals aufgegriffen. Die Aufnahmen der Referate stehen auf der infoclio.ch-Website online zur Verfügung. [Note 1]

Projekte und Institutionen

Die International Federation of Library Associations and Institutions (IFLA), die grösste Vereinigung der Bibliotheken, wurde von STUART HAMILTON (Director of Policy and Advocacy IFLA, The Hague) vorgestellt. Die IFLA versucht, die Interessen der Bibliotheken wahrzunehmen, besonders in den Ländern, in welchen keine oder ungenügende Ausnahmen des Copyrights für die Bibliotheken und die wissenschaftliche Forschung bestehen, was in ungefähr 80% (weltweit) der Fall ist. Hamilton fordert ein neues (Rechts-)Framework (die veraltete Grundlage basiert auf der Berner Konvention von 1886), weil das bestehende System für die Anforderungen des digitalen Zeitalters nicht flexibel genug ist, um Rechtssicherheit zu gewährleisten. Die IFLA versucht, die Form dieses Frameworks zu erarbeiten.

Damit das Projekt eines schweizerischen Rundfunkarchives erfolgreich durchgeführt werden kann, soll die Wissenschaftsgemeinschaft Druck auf Veranstalter und Politik ausüben, fordert EDZARD SCHADE (Schweizerisches Institut für Informationswissenschaft, Chur). Das Projekt hat die Machbarkeitsstudie erfolgreich abgeschlossen, die Konkretisierung ist nun angelaufen, jedoch bestehen grosse Schwierigkeiten mit der finanziellen und personellen Ressourcenverteilung. Zudem sind die Dokumentationsziele und Selektionskriterien mit entsprechenden Partnern zu definieren und darüber hinaus, wie die Langzeitarchivierung und der Zugang zum Archiv gewährleistet werden. Die rechtliche Ausgestaltung ist dabei virulent. Für Schade ist in diesem Projekt das Ressourcenmanagement mit einem Rechtemanagement zu verbinden, um die Angst vor rechtlichen Konsequenzen zu minimieren – die Balance zwischen Verwertern und Öffentlichkeit ist auch hier eminent wichtig.

Für BARBARA ROTH-LOCHNER (Universitätsbibliothek Genf) sind Rechtsprobleme, welche bei der Digitalisierung von mittelalterlichen Quellen entstehen, marginal. Besonderes Augenmerk muss darauf verwendet werden, dass die Ansprüche aller Nutzergruppen befriedigt werden können. Dennoch gehen viele Informationen verloren, wie zum Beispiel die Beschaffenheit eines Buches oder weitere Aspekte (click here to smell…). Roth-Lochner hielt für dieses Projekt fest: 1. Digitalisierung benötigt viel Zeit, 2. der einfache Zugang dazu ebenfalls, 3. die Digitalisierung darf nicht auf Kosten anderer fundamentaler Aufgaben geschehen.

GENEVIEVE CLAVEL (Nationalbibliothek, Bern) zeigte den Teilnehmenden auf, an welchen internationalen Projekten sich die Schweizer Archive und Bibliotheken mit ihren digitalen Informationen beteiligen. Dies reicht von der Europeana über EUscreen zu European Film Gateway. Die rechtlichen Fragen und die Ausgestaltung der Teilnahme an solchen Projekten sind zentral – sie könnten und sollten aber besser koordiniert werden, fordert Clavel.

Gesetzeslage und Rechtspraxis

CHRISTOPH FLÜELER (Projektleiter e-codices) stellte die Nutzungsbestimmungen von e-codices vor, welche auf 'Creative Commons'-Lizenzen basieren, die eine Weiterverwendung der Quelle ausdrücklich erlauben, allerdings unter Angabe der Herkunft. Dies sei von der wissenschaftlichen Welt gut aufgenommen worden, meinte Flüeler, weil der Zugang zu digitalisierten Schweizer Handschriften durch relativ freie und einfache Nutzungsbestimmungen für alle erleichtert werde.

ANDREAS KELLERHALS (Direktor Schweizerisches Bundesarchiv, Bern) legte den Fokus auf die Archive und erklärte, dass das Schweizer Bundesgesetz über die Archivierung als liberal bezeichnet werden kann, dass sich aber die Ausgestaltung der Praxis durch die Einschränkungen von Schutzfristen und das Datenschutzgesetz schwieriger gestaltet. Als Beispiel zeigte er eine Begriffswolke aus den Protokollen des Schweizer Ständerates (Vertreter der Kantone), in welcher die zwei wichtigsten Begriffe 'Schutzfrist' und 'Protection' hervorstechen. Kellerhals ist der Meinung, dass der Onlinepräsentation von Archiven sehr wenig entgegensteht und dass kulturelle und wissenschaftliche Errungenschaften, die durch öffentliche Gelder finanziert wurden, kostenlos zugänglich sein müssten und dass deshalb das Copyright und andere wirtschaftliche Interessen auf das kleinst-nötigste reduziert oder gar abgeschafft werden sollten.

Über die Entwicklungsgeschichte des Copyrights führte MONIKA DOMMANN (Präsidentin Kommission infoclio.ch) die Teilnehmenden in die Problematik des Copyrights mit den neuen Medien ein. Bereits Robert C. Binkley [Note 2] bekundete seine Mühen mit dem Copyright, das er als Stolperstein für die wissenschaftliche Forschung ansah und eine 'Ethik der Kopie' forderte. Interessant ist jedoch wie die Diskussionen über allfällige Abgaben geführt wurden, denn in den USA wurde darüber debattiert, WIE die Kopie, in Europa aber OB sie erlaubt werden kann. Drei Lehren zog Domman aus diesem Überblick: 1. Mediale und technische Umbrüche verändern Arbeitstechniken und fördern Regulierungsschübe. 2. Der Verwertungsgedanke wurde priorisiert. 3. Die Wissenschaft sollte sich wieder in die Diskussion einmischen, aber nicht mit den grossen Playern aus der Unterhaltungsindustrie, sondern an eigenen Tischen mit eigenen Regeln. Mit dem letzten Punkt unterstützt sie die Forderung von Stuart Hamilton, der ein neues Framework fordert. Für ihn ist bei den Gesetzgebern, den Verlegern und Verwertern das Bewusstsein noch nicht entstanden, dass im digitalen Zeitalter die Ländergrenzen aufgehoben sind.

Dies lässt MIRA BURRI (World Trade Institute, Universität Bern) so nicht gelten, indem sie das Prinzip der Territorialität aufführt, welches ein Gesetz mit seinem Anwendungsgebiet (Land) verknüpft. Gerade deshalb besteht eine grosse Rechtsunsicherheit. Nicht einmal die EU hat für wissenschaftliche Zwecke Ausnahmen im Copyright vorgesehen. Abhängig von nationaler Gesetzgebung sind verschiedene Themenbereiche (beispielsweise Gesetze) aus dem Copyright ausgenommen. Dies wird umso deutlicher, wenn der Kreis der 'Memory Institutions' erweitert wird. Archive, Bibliotheken und Museen sind die klassischen Vertreter, jedoch sind in den letzten Jahren weitere entstanden, welche nur noch digital zugänglich sind: Soziale Netzwerke, Peer-to-peer File-sharing Infrastrukturen usw., welche de facto eine Funktion als Memory Institution innehaben. Burri weist zudem darauf hin, dass das Copyright auf einem Werk immer ein Verfallsdatum aufweist, auch wenn vor allem die Unterhaltungsindustrie dies gerne auf die Ewigkeit minus einen Tag ausdehnen möchte.

Als grossen Kritiker des Urheberrechtes/Copyrights zeigte sich SIMON SCHLAURI (Digitale Allmennd, Zürich), indem er das Konzept des Geistigen Eigentums, auf welchem das Copyright basiert, grundsätzlich in Frage stellt, weil Eigentum nur für rivalisierende Nutzungsgüter reserviert werden sollte. Zudem sei das Urheberrecht für Autorinnen und Autoren nicht effizient genug, weil zu viel Geld vom Verwerter beansprucht wird. Auf das Tagungsthema bezogen stellte er die Fragen, ob historische Quellen einen urheberrechtlichen Schutz geniessen müssen oder dürfen und ist der gleichen Meinung wie Andreas Kellerhals: Was mit öffentlichen Geldern entstanden ist, muss der breiten Öffentlichkeit zugänglich sein. Zudem können viele digitalisierte Quellen gar nicht geschützt werden, weil kein Urheberrecht mehr darauf besteht. Diese Erkenntnis war für viele Teilnehmenden, besonders jene aus den Archiven, schwer verdaulich. Die Schutzfrist läuft nach 70 Jahren nach der Veröffentlichung ab (darauf verwies auch Burri), der Inhalt wird gemeinfrei, kann also von jeder Person verwendet werden, ohne Abgaben bezahlen zu müssen. Die Digitalisierung stellt grundsätzlich nur eine Umformung (andere Darstellungsform) dar und ist deshalb nicht kreativ genug, um als neues, eigenes Werk anerkannt zu werden. Wenn also kein Urheberrecht besteht und keines geschaffen wird, kann auch keine (Creative-Commons-)Lizenz vergeben werden, welche den Besitz eines Urheberrechtes vorschreibt. Creative-Commons ist also für Archive und Bibliotheken ungeeignet, weil gemeinfreie Werke dadurch nicht geschützt werden können. Schlauri führt jedoch aus, dass Digitalisate durch Anreicherung mit Inhalt (beispielsweise Kommentaren), einem Passwort (faktischer Schutz), einer Geheimhaltungsvereinbarung (Vertrag) oder durch digitale Wasserzeichen (Durchsetzung des vertraglichen Verbots) geschützt werden können.

Podiumsdiskussion

Als Abschluss der Veranstaltung wurde unter der Moderation von RAINER STADLER (NZZ, Zürich) eine Podiumsdiskussion unter Beteiligung von ANDREAS KELLERHALS, HANS ULRICH LOCHER (Bibliothek Information Schweiz, Aarau) und SACHA ZALA (Schweizerische Gesellschaft für Geschichte, Basel) durchgeführt. Als wichtigste Punkte wurde von den Teilnehmern der Runde herausgearbeitet, dass die Rechtslage nicht geklärt ist - Zala fragt sich jeden Morgen, warum er heute ins Gefängnis gehen wird: Verstoss gegen Datenschutz, Urheberrecht oder Bundesgesetz über Archivierung - und dass der Zugang zu digitalen Informationen, deren Erstellung durch die öffentliche Hand finanziert wurde, kostenlos gewährleistet sein muss (Locher: "Open Access = gratis ist in etwa dasselbe wie Handy = 0 Franken"). Die Frage, ob Google ein Feind ist, verneint Kellerhals, denn die Kontrolle über seine Daten hat man zu dem Zeitpunkt verloren, wenn man sie im Web verfügbar macht. Wenn nur das digitalisiert wird, worüber die Urheberrechtslage klar ist, dann werden nur noch veraltete Werke (älter als 70 Jahre) digitalisiert. Damit würde der Forschungsstand älter, denn "quad non est in internet, quad non est in mundo", meinte Zala und Locher ergänzt das Faktum, dass die erste (wissenschaftliche) Suche zu 75% mit Google erfolgt.

Sowohl die Vorstellung der Projekte, als auch die Behandlung der rechtlichen Fragen bargen interessante Informationen. In welcher Art und Weise digitale Daten und Informationen über das Medium Internet zugänglich gemacht wurden, veranschaulicht das Fortschreiten der Geschichtswissenschaft im Umgang mit den neuen Medien und die Öffnung der Erkenntnisse und Quellen nicht nur für die internationale Forschungsgemeinschaft, sondern auch für die gesamte Öffentlichkeit. Besonders der Aspekt, dass die Öffentlichkeit ein Anrecht auf kostenlosen Zugang zu diesen Informationen hat, wenn sie für deren Erarbeitung die finanziellen Kosten trägt, ist nicht nur löblich, sondern muss auch konsequent umgesetzt werden.

Auf der rechtlichen Ebene scheint noch vieles nicht geklärt, insbesondere ist die Balance zwischen dem Anspruch der Nutzer und der Rechteverwerter noch nicht gefunden worden. Die Verwerter wollen das 'alte' Urheberrecht auf die digitalen Daten anwenden und damit ihr Geschäftsmodell sichern. Die Nutzer und die Forschungsgemeinschaft streben nach einer Liberalisierung, weil in der digitalen Welt Begriffe wie "Eigentum", "Gesetzesanwendungsgebiet" oder "gemeinfrei" eine neue Dimension erhalten und deshalb neu definiert werden müssten.

Eine Frage stellt sich mir zusätzlich (aus eigenem Forschungsinteresse): Dürfen wir aus wissenschaftlicher Sicht die digitalen Daten überhaupt nutzen oder verstossen wir gegen das Prinzip der Nachvollziehbarkeit? Schliesslich ist nicht gewährleistet, dass die Daten morgen noch zur Verfügung stehen und dass unabhängig darauf zugegriffen werden kann.

Note 1: Mitschnitte der Reden aller Referenten und der Podiumsdiskussion: http://www.infoclio.ch/fr/node/130357

Note 2: Robert C. Binkley: Manual on Methods of Reproducing Research, a survey for the Joint Committee on Materials for Research of the Social Science Research Council and the American Council of Learned Societies, Ann Arbor 1936.

Veranstaltung: 
infocllio.ch Tagung 2012: Zugangs- und Nutzungsrechte für historische Quellen im Web
Organisiert von: 
infoclio.ch, e-codices
Veranstaltungsdatum: 
02.11.2012
Ort: 
Kornhausforum, Bern
Sprache: 
d
Art des Berichts: 
Conference