Wer sich mit Militärgeschichte des Spätmittelalters oder der Frühen Neuzeit auseinandersetzt, ist zweifelsfrei den Begriffen «Söldner» und «Miliz» begegnet, wobei beide Termini in der Regel in Abgrenzung zueinander konstruiert werden.1 Am 17. und 18. März 2017 fand an der Universität Bern eine internationale Tagung statt, die sich zum heuristischen Ziel gesetzt hatte, die Schnittstellen zwischen Milizionären und Söldnern zu suchen. REGULA SCHMID KEELING und PHILIPPE ROGGER (beide Bern) akzentuierten in ihrer Einführung, dass die Tagung Epochengrenzen überwinden und verschiedene Regionen miteinander verbinden möchte, um danach zu fragen, wie sich die unterschiedlichen Ressourcenstärken und Verfassungen der «Staaten» auf das Militär auswirkten, und ob sich verallgemeinerbare Entwicklungstendenzen feststellen lassen.
Den Auftakt machte MICHAEL SIKORA (Münster) mit einer «Keynote», die vor allem Reibungsflächen für die späteren Diskussionen bieten sollte. Die militärgeschichtliche Erzählung der Frühen Neuzeit beschreibt grösstenteils einen Prozess von Disziplinierung und Professionalisierung des Wehrwesens, wobei die Charakteristika der Söldner immer wieder denen der Milizen gegenübergestellt werden. Dienlicher wäre jedoch, so ist Sikora überzeugt, ein beziehungsgeschichtliches Narrativ aus der Perspektive der Milizen, der die Variationen des Begriffs «Miliz» im zeitgenössischen Wortgebrauch berücksichtigt. Bei Milizen handelte es sich vorwiegend um ein urbanes Phänomen, wobei die europäische Städtelandschaft sehr heterogen war, und die Städte auch als Arbeitgeber von Söldnern aus dem In- und Ausland auftraten. Die Aufgebote bestanden in der Frühen Neuzeit aus verschieden zusammengestellten Kontingenten: Auch adelige Vasallen und ihre Hintersassen konnten rekrutiert werden. Aus dieser Tradition ergab sich die Vorstellung einer «territorialinternen Miliz», woraus Machiavelli seine paradigmatischen Dichotomien gezogen hatte: Der Söldner wählte freiwillig ein unmoralisches Handwerk, während der Milizionär zwar zwangsweise rekrutiert worden war, aber als Repräsentant der Republik und gerechter Verteidiger auftrat. Im Verlauf der Frühen Neuzeit nahmen Milizen gegenüber Berufsheeren eine subsidiäre Rolle ein, woraus sich ein hybrider Typus Soldat entwickelte, der diese Dichotomie nicht mehr zuliess. Der Diskurs, so hielt Sikora abschliessend fest, sei noch lange vom Narrativ geprägt gewesen, wonach die Berufssoldaten zwar professioneller, aber die Milizionäre «die guten Soldaten» gewesen seien.
Nach diesen allgemeinen Überlegungen startete die erste Sektion mit einem Vortrag von KELLY DEVRIES (Baltimore). Dieser zeigte in seinem Beitrag, dass dieselben Leistungen, die in der Renaissance die Schönen Künste vorantrieben, auch die Entwicklung des Kriegswesens mitprägten. Als Beispiele fokussierte DeVries auf nicht-technische Veränderungen, welche die Organisation der spätmittelalterlichen Armeen beeinflussten: das Aufkommen der Infanterie, die zunehmende Teilnahme von städtischen Milizen an Kriegen und den grösseren Gebrauch aber auch Missbrauch von Milizen. Eine der daraus resultierenden Konsequenzen war eine Zunahme von städtischen Unruhen. DeVries gelang es zu veranschaulichen, dass die Rolle der technischen Innovationen rund um die «Military Revolution»-These überschätzt worden waren.
Im zweiten Referat reflektierte HORST CARL (Giessen) Militärtheorien zum Söldnertum im 16. und 17. Jahrhundert. Er zeigte auf, dass die Söldner von zwei Seiten in ein schlechtes Licht gerückt wurden: Zum einen griffen Humanisten Argumente römischer Autoren auf, die Söldner als ein Übel ihrer Zeit und Gesellschaft wahrgenommen hatten. Zum andern etablierte sich mit der Verbreitung des Buchdrucks eine Fachliteratur von Militärs für Militärs, die sich der humanistischen Kritik jedoch nicht entgegenstellte. Lazarus von Schwendi, einer der wichtigsten Vertreter dieses Genres, kritisierte die Söldner als zu teuer, illoyal und untrainiert. Die Oranier, so Carl, hätten ab 1590 diese beiden Diskursfelder miteinander verbunden, wobei der Begriff der Disziplin zum entscheidenden Instrument wurde. Carl kam zum Fazit, dass die Disziplinierung und Professionalisierung der frühneuzeitlichen Armeen mit Hilfe der Söldner geschehen war und diesen fortan eine Daseinsberechtigung zusicherte.
Die zweite Sektion wechselte von den theoretischen Reflexionen zu praktischen Fallbeispielen. Regula Schmid Keeling ging der Frage nach der Zusammensetzung der städtischen Heere im Raum der Eidgenossenschaft im 14. und 15. Jahrhundert nach und nahm anschliessend die kleine Gruppe der städtischen Bürger im städtischen Heer in den Blick. Dabei stand die Frage im Vordergrund, wie die Krieger an den «Staat» gebunden wurden. Sie stellte fest, dass der Grossteil der mit der Stadt ausziehenden Personen besoldet war, wenn auch in unterschiedlicher Weise, und durch sozialen Druck sowie familiäre und genossenschaftliche Verbindlichkeiten an ihre Pflichten gebunden wurden. Um 1500, so lautete Schmid Keelings abschliessende These, «waren alle Söldner.»
ROBERTO BIOLZI (Lausanne) hob anschliessend die einzigartige Quellensituation in Savoyen hervor, die quantitative Analysen zum adeligen Militärdienst im 14. und 15. Jahrhundert zulasse. Die feudalen Verhältnisse blieben in Savoyen länger bestehen als in anderen europäischen Gebieten. Bemerkenswert ist laut Biolzi, dass es unter den adeligen Kriegsführern Savoyens ab 1370 zu einer Vereinheitlichung des ausbezahlten Soldes kam, und die Dienstdauer ebenfalls Mitte des 14. Jahrhunderts stetig verlängert wurde. Zeitgleich stieg der Einfluss einer neu aufgekommenen Personengruppe von Kriegsunternehmern an.
Mit dem Referat von MAARTEN PRAK (Utrecht) ging die Tagung vom Spätmittelalter in die Frühe Neuzeit über. Prak fragte ebenfalls danach, wie Bürger in das Militär eingebunden waren. Er vertritt die Meinung, dass die «Military Revolution»-These eine falsche Vorstellung von dieser Einbindung vermittelt. Am Beispiel von Leiden und anderen holländischen Städten zeigte Prak auf, dass die städtischen Milizen in Holland eine Tradition von bürgerlicher Opposition ausdrückten. Die Idee eines urbanen Republikanismus verband ihre Mitglieder miteinander, wodurch sie eine zentrale politische Rolle einnahmen.
Im Anschluss daran widmete sich Philippe Rogger der Thematik von Söldneroffizieren als Träger eines grenzüberschreitenden militärischen Kulturtransfers in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft. In einer akteurszentrierten Perspektive machte Rogger diverse Beispiele von Söldneroffizieren aus, die als Milizsoldaten für höhere Chargen präferiert wurden und als Militärexperten in verschiedenen Kriegsräten ihre Erfahrungen mit ausländischen militärischen Reformen einbringen konnten. Diese Beispiele zeigen nicht nur die bekannte Verzahnung von militärischen Kaderstellen und regimentsfähigen Geschlechtern, sondern auch die aus dem Kulturtransfer resultierenden transnationalen Züge in der eidgenössischen Defensionalpolitik.
Das Referat von ANDRE HOLENSTEIN (Bern) fokussierte auf den Reformstau des eidgenössischen Sicherheitsdispositivs gegen Ende der Alten Eidgenossenschaft. Im Rahmen der intellektuellen Debatten über das defizitäre eidgenössische Wehrwesen wurde 1792 die «Helvetisch-militärische Gesellschaft» gegründet, die sich bei der Tagsatzung für Reformen einsetzte. Wie gross jedoch die Meinungsverschiedenheiten bezüglich einer eidgenössischen Defensionalpolitik waren, zeigte sich während des Ersten Koalitionskriegs 1792: Während die Orte gemeinsam die Neutralität proklamierten und Truppen als Grenzschutz entsenden wollten, sprach sich Schwyz gegen eine bewaffnete Neutralität aus, da dieses Prinzip keine Grundlage in den eidgenössischen Bünden habe. Das Corpus Helveticum erwies sich als unfähig, auf die radikale Veränderung der politischen Landkarte zu reagieren, resümierte Holenstein schliesslich. Es bedurfte wiederum Interventionen von aussen, bis 1815 ein einheitliches Sicherheitspositiv eingeführt wurde.
Die dritte Sektion befasste sich mit personalen Verknüpfungen und strukturellen Schnittstellen zwischen Miliz und Solddienst. Die Referierenden widmeten sich anhand lokaler Untersuchungen dem Handeln mit militärischer Gewalt. CHRISTOPH DARTMANN (Hamburg) konzentrierte sich in seinem Beitrag auf das Fallbeispiel Genua, um die enge Verquickung zwischen bürgerlich militärischem und finanziellem Engagement darzulegen. Die Kommune rang im 12. Jahrhundert mit Pisa und im 14. Jahrhundert mit Venedig um die Vorherrschaft im ligurischen bzw. mediterranen Raum. Grössere militärische Aktionen waren höchst kostenintensiv: Die Kommune finanzierte die Ausrüstung der Kampfverbände und der Flotten, indem sie Private in die Verbände investieren liess. Nach einem missglückten Kriegszug musste die Kommunalregierung ihre Einkünfte verpachten lassen. Um trotzdem militärisch aktiv zu bleiben, wurden mit immer neuen Staatsanleihen der Schiffsbau und die Ausstattung der Flotte finanziert, bis die Kommune um 1350 finanziell nahezu handlungsunfähig wurde. Genua war nie mehr in der Lage sich finanziell zu erholen, sondern fasste sämtliche Staatsanleihen kurz nach 1400 zusammen und gründete die «Banco di San Giorgio» als Verwalterin der kommunalen Schulden. Reiche Bürger konnten Anteile daran erwerben und erhielten entsprechendes Stimmrecht. Anhand dieser Beispiele plädierte Dartmann für eine systematische Aufnahme von Seekriegen in die Forschung über das Militärunernehmertum, da aufgrund der hohen Kosten schon früh – vor dem Aufkommen der grossen Söldnerheere - innovative Methoden zur Finanzierung gefunden werden mussten.
MICHAEL BUSCH (Hamburg) referierte über das schwedische Einteilungswerk von 1682. Bauern und Soldaten sind auf den ersten Blick sich gegenseitig ausschliessende Begriffe. In Schweden jedoch sollten aufgrund des Einteilungswerkes beide Stände langfristig verknüpft werden. Unter Karl XI wurde der Adel entmachtet, wodurch eine Reform der Aushebung, die einer Kombination von Miliz und stehendem Heer ähnelte, möglich wurde: Die Soldaten wurden einzeln auf Höfe verteilt, wo sie Unterkunft, Verpflegung und die Möglichkeit zur Selbstversorgung erhielten. Parallel dazu wurde wöchentlich im Trupp, monatlich in der Kompanie und jährlich im Regiment exerziert. In Friedenszeiten waren die Söldner im Dorf sozial integriert und verrichteten kleinere handwerkliche Arbeiten. In Schweden sei nicht die Gesellschaft militarisiert, sondern das Militär in die agrarisch strukturierte Gesellschaft eingebunden worden, bilanzierte Busch.
Im Anschluss daran konzentrierte sich HOLGER GRÄF (Marburg) auf die Landgrafschaft Hessen-Kassel im 17. Jahrhundert. Auch Gräf plädierte für eine akteurszentrierte Perspektive, um die personellen Schnittstellen zwischen Miliz und Söldner sichtbar zu machen, da die Trennung von stehendem Heer und Söldnern in der Praxis nicht strikt gewesen sei. Viele Offiziere der Landesdefension stammten nicht aus der Landgrafschaft und brachten militärisches Wissen aus ihren vorangehenden Einsätzen im Solddienst mit. Diese Offiziere unterhielten bald eigene Patronagenetzwerke und liessen ihre Familien nachziehen oder betrieben eine opportune Heiratspolitik. Ausserdem war das gleichzeitige Ausüben von Ämtern in der zivilen Regierung keineswegs unüblich. Gräf schlägt vor, in zukünftigen Forschungsarbeiten zu untersuchen, inwiefern das Subsidienwesen als «Pull-Faktor» für landfremde Söldner verstanden werden könnte.
SARAH RINDLISBACHER (Bern) widmete sich einem bislang kaum bekannten Forschungsbereich: den alteidgenössischen Ständen als Söldneranwerber. Nachdem sich der sogenannte Wigoltinger Handel 1664 zum eidgenössischen Politikum und drohendem Religionskrieg entwickelt hatte, suchte Zürich Unterstützung im nahen protestantischen Ausland. Der gelehrte Geistliche Johann Heinrich Hottinger sollte bei deutschen Fürsten und in den Niederlanden Söldner und Geldmittel beschaffen. Die Gesandtschaftsreise dauerte so lange, dass in der Heimat der Konflikt bereits gelöst worden war und Zürich die Truppen an der Grenze abgezogen hatte. Dennoch sollte Hottinger seine Reise fortsetzen und um allfällige zukünftige Hilfe anfragen, da der Friede äusserst unsicher war. Die Rückmeldungen waren wenig positiv: Zürichs Werbeaktion erschien aufgrund fehlender Reziprozität, geringer Besoldung und Kurzfristigkeit des Truppenaufgebotes unattraktiv. Die Pläne zur Anwerbung von fremden Söldnern können u.a. als direkte Folge eines schwachen eigenen Militärs und der politisch isolierten Lage Zürichs gelesen werden. Dass eine Anwerbung fremder Söldner ausgerechnet auf Geheiss der solddienstfeindlichen Zwinglistadt geschah, ist äusserst bemerkenswert.
Statt Dichotomien zu suchen, sollten vielmehr fluide, multiple Beziehungsformen und Rekrutierungsmechanismen beleuchtet werden, resümierte RUDOLF JAUN (Zürich) im Kommentar zur Tagung. Die erarbeiteten Schnittstellen zwischen Miliz und Söldner im Rahmen der Rekrutierung, der Lieferung von kurzfristigen Ressourcen und der Entwicklung des Kampfverfahrens sollten näher betrachtet werden, motivierte Jaun. Für die Alte Eidgenossenschaft müsste die vielbenutzte Phrase des Kriegertums als «wichtigster Exportschlager» der Frühen Neuzeit einmal konsequent den übrigen Exporten gegenübergestellt werden. Die Milizen der Orte verharrten im 18. Jahrhundert zwar im Reformstau, die Befriedung nach innen war aber erfolgreich: Erst bei Konflikten, die eine Koordination mehrerer Akteure benötigte, wurde die Prekarität dieses Milizmodelles ersichtlich. Jaun regte an, in diesem Zusammenhang die Rolle der Offiziere als Reformer näher zu beleuchten.
In den jeweiligen Wortmeldungen nach den Referaten und in der Diskussion wurde deutlich, dass die Thematik rund um die Dichotomie Miliz / Söldner alle europäischen Streitkräfte seit dem Spätmittelalter betrifft. Jenseits territorialer Grenzen fanden sich ähnliche Konstellationen und Konflikte in sehr heterogenen Formen des Wehrwesens. Die Tagung hat deutlich gezeigt, dass eine erweiterte «Neue Militärgeschichte» auch zukünftig wegweisend für die Forschung sein wird.
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Programm:
Begrüssung und Einführung: Regula Schmid Keeling (Bern), Philippe Rogger (Bern)
Michael Sikora, Münster: Milizen – Traditionen, Alternativen, Zukunftsmodelle?
Sektion 1: Heeresverfassung, Staat und Gesellschaft – Militärtheoretische Diskurse
Moderation: Rudolf Jaun, Zürich
Kelly DeVries, Maryland: State Armies in Theory and Practice during the Late Middle Ages
Horst Carl, Giessen: Professionalität statt virtus – Militärtheoretische Reflexionen zum Söldnertum im 16. und 17. Jahrhundert
Sektion 2: Städtische, republikanische und fürstliche Heere – Paradigmen der Militärgeschichte, Herausforderungen und Reformbestrebungen
Moderation: Christian Hesse, Bern
Regula Schmid Keeling, Bern: Bezahlte Bürger – Gratissöldner. Die Zusammensetzung städtischer Heere im 15. Jahrhundert
Roberto Biolzi, Lausanne: Le service militaire des nobles dans les Etats de Savoie à la fin du Moyen Age (XIVe-XVe s.) : entre féodalité et mercenariat
Maarten Prak, Utrecht: Civic militia and urban politics – Leiden in the 17th and 18th centuries
Philippe Rogger, Bern: Söldneroffiziere als Militärreformer – Der grenzüberschreitende Transfer von militärischem Expertenwissen in die Eidgenossenschaft im 17. Jahrhundert
André Holenstein, Bern: Miliz im Reformstau. Institutionen und Akteure einer Debatte über das Ungenügen der Miliz am Ende der alten Eidgenossenschaft (1780er-, 1790er-Jahre)
Sektion 3: Handeln mit der militärischen Gewalt – Personale Verknüpfungen und strukturelle Schnittstellen zwischen Miliz und Solddienst
Moderation: Valentin Groebner, Luzern
Christoph Dartmann, Hamburg: Bürgerliches Engagement – militärisches Investment – Seeräuberei: Genuesische Seekriege im mittelalterlichen Mediterraneum
Michael Busch, Hamburg: Bauersmann oder Soldat? Das schwedische Einteilungswerk für die Armee von 1682
Holger Gräf, Marburg: Landesdefension, Miliz, Solddienst und stehendes Heer – Schnittstellen am Beispiel der Landgrafschaft Hessen-Kassel im 17. Jahrhundert
Sarah Rindlisbacher, Bern: Söldner für die Schweiz? Zürichs Pläne zur Anwerbung von fremden Truppen im 17. Jahrhundert
Rudolf Jaun, Zürich: Kommentar
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