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Panelbericht: Teuer – teurer – unbezahlbar: Kommunaler Kirchenbau im späteren Mittelalter

Autor / Autorin des Berichts: 
Caroline Wasna
caroline.wasna@gmx.ch
Universität Basel

Zitierweise: Wasna, Caroline: Panelbericht: Teuer – teurer – unbezahlbar: Kommunaler Kirchenbau im späteren Mittelalter, infoclio.ch Tagungsberichte, 2019. Online: <https://doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0187>, Stand:


Verantwortung: Gerald Schwedler / Richard Nemec
Referierende: Gerald Schwedler / Richard Nemec / Daniel Parello

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Im Panel Teuer – teuer – unbezahlbar: Kommunaler Kirchenbau im späteren Mittelalter ging es um die sakrale Bautätigkeit der Kommunen, ihre Finanzierung – und um das Fallbeispiel Kirchenfenster.1

Den Auftakt machten die beiden Panelverantwortlichen RICHARD NEMEC (Bern) und GERALD SCHWEDLER (Kiel) mit einer Einführung in die sakrale Bautätigkeit der Kommunen im Spätmittelalter. Sie verglichen die teuren mittelalterlichen Bauten mit dem Bau der Elbphilharmonie in Hamburg: Gemeinsam sei ihnen, dass sie trotz der enormen und das Budget überschreitenden Kosten nach der Vollendung jeweils hoch gelobt wurden. Innovationen im Kirchenbau und in der Finanzbuchhaltung forderten und ermöglichten die Aufwendungen von grossen Geldsummen. Das Ergebnis war ein flächendeckender Bauboom in Europa. Sowohl Grosskirchen wie auch kleinere Pfarrkirchen entstanden: Für das Spätmittelalter wird von 5’000 Bauprojekten ausgegangen – es kam zu einem regelrechten Wettbewerb in Bezug auf die Grösse und die Ausstattung der Projekte. Die Finanzierung für die Bauvorhaben regelte die Bauverwaltung, fabrica operis genannt. Sie gewährleitete die Finanzierung und trat als Akteur am Kreditmarkt auf. Ausserdem mussten die verschiedenen Mitbestimmungsansprüche geregelt werden. Das Ergebnis der Bauanstrengungen spiegelte also die Innovationskraft und Selbstdarstellung der gesamten Stadt wider.
Diese strukturellen Befunde wurden an zwei Beispielen verdeutlicht: an den Neubauprojekten der Münster in Bern und Ulm. An beiden waren dieselben führenden Werkmeisterfamilien Parler, Ensinger und Böblinger beteiligt und beide weisen Innovationen bezüglich der Ästhetik, der Technik und der Bauorganisation auf. Leider ist die Finanzierung der Münsterbauten eines der bestgehütetsten Geheimnisse der Amtsträger und kann darum heute nicht mehr vollständig nachvollzogen werden.2

Summa summarum könne den spätmittelalterlichen Kommunen durchaus unökonomisches Verhalten vorgehalten werden, so der Referent. Jedoch würde man dabei ausser Acht lassen, dass das neuzeitliche Konzept des homo oeconomicus nicht auf mittelalterliche Verhältnisse angewendet werden kann – und im Übrigen auch heute noch Gebäude gebaut werden, deren Aufwand und Ergebnis in keinem Verhältnis zueinander stehen. Abschliessend gingen die Vortragenden noch auf die verschiedenen Methoden der Geldgenerierung im Zusammenhang mit mittelalterlichen Bauprojekten ein: So gibt es das Modell des Heilerstrebens durch Spenden, Ablässe und Stiftungen, das Modell der Memoria von Personen, das Modell der gemeinschaftlichen Güter sowie das Modell der Spendenwirtschaft.

Ein Beispiel für eine Form der Baukunst und des Memorialwesens durch Stiftungen präsentierte DANIEL PARELLO (Freiburg/Br.) mit seinem Beitrag zu „Bürgerlichen Fensterstiftungen an der Ausstattung spätmittelalterlicher Kirchenbauten“. Die Glasmalerei war im Mittelalter bei potentiellen Stiftern sehr beliebt, da sie visuell sehr präsent war. Der Referent legte den Fokus auf die Pfarrkirchen von St. Sebald in Nürnberg, Ulm und Bern und ihre miteinander in Beziehung stehenden Glasmalereiwerkstätten um zu zeigen, welchen Einfluss die jeweiligen Baumeister auf die Vergabe von Glasmalereiaufträgen hatten.
Die Pfarrkirche St. Sebald zählte als Ratskirche unter ihre Gemeindemitgliedern einen exklusiven und vermögenden Stifterkreis. Durch die Erweiterung des Langhauses und des Hallenchores um das Jahr 1379 herum war neuer Platz für die Repräsentation der patrizischen Stifter entstanden. Der Rat versuchte jedoch, die Selbstinszenierung der einzelnen Stifter durch eine zentrale Planung zu verhindern. So wurden als Stifter für die Fenster nur diejenigen Familien berücksichtigt, die zum Zeitpunkt der Vollendung des Kirchenchors einen Sitz im Rat hatten. Die Architektur des Chores und die Grösse der Fenster verwiesen auf die soziale Gleichrangigkeit der Familien und liessen ihnen dennoch genügend Platz zur Selbstdarstellung. Die prominentesten Fenster wurden für Stiftungen des amtierenden Bischofs, des Burggrafen und des Königs reserviert.
Die offenbar qualitativ hochwertigen Fenster der Nürnberger Glasmaler wurden auch andernorts verwendet, so beispielsweise um 1405 im Ulmer Münsterchor. Hier bestand der Stifterkreis aus dem Rat, den Handwerkszünften und Patriziern und die Entscheidung, welche Glasmalereiwerkstätte für die Herstellung beauftragt werden sollte, trafen sie vermutlich unter der Einbeziehung der Empfehlung des Baumeisters, der aus der Baumeisterfamilie der Parler oder der Ensinger stammte.
Matthäus Ensinger verliess nach dem Tod seines Vaters Strassburg und übernahm 1421 die Leitung des Neubaus des Berner Münsters. Dessen Finanzierung wurde zu grossen Teilen durch den Adel und reiche Kaufleute übernommen und für sie wurden die grossen Fenster reserviert. Die Auftragserteilung für die Glasmalereien soll auch hier vom Baumeister, also Matthäus Ensinger, beeinflusst worden sein. Denn nach einer Beratung mit ihm entschied sich der Rat für den Ulmer Glasmaler Hans Acker statt für den vor Ort ansässigen und bereits früher beauftragten Nicklas Glaser. Die Ulmer Glasmalerei muss in ihrer Qualität herausragend und daher zu Repräsentationszwecken besonders geeignet gewesen sein.
Die Beispiele zeigen, dass die Baumeister auch über weite Distanzen eng mit Handwerksbetrieben vernetzt waren und es lässt sich vermuten, dass Matthäus Ensinger, der Baumeister von Bern und vielleicht von Ulm, Interesse an der ästhetischen Ausstattung seiner Bauwerke hatte, wie es eine Quelle zu St. Leonhard in Basel beschreibt.

In der anschliessenden Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass es im Mittelalter verschiedene Baubooms gab und dass in diesem Panel nur der von den Kommunen initiierte behandelt wurde. Dass bei jedem kirchlichen Bau jedes Bauelement im Bezug auf seine Finanzierung einzeln analysiert werden müsse, da oft sowohl der Bischof als auch die Kommunen Geld hierfür aufwendeten, war eine weitere Erkenntnis der Diskussion.



Anmerkungen

1 Dieser Aspekt hätte möglicherweise durch den ebenfalls für das Panel vorgesehenen Vortrag von THOMAS LENTES (Münster) über „Stadt, Pfarrerei und Frömmigkeit in der Vormoderne – 500 Jahre St. Dionysius zu Rheine“ noch weiter vertieft werden können, der jedoch leider entfiel.
2 Vgl. Reitemeier, Arnd: Pfarrkirchen in der Stadt des späten Mittelalters: Politik, Wirtschaft und Verwaltung. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag, 2005, S. 619.





Panelübersicht:

Schwedler, Gerald / Nemec, Richard: Teuer – teurer – unbezahlbar: Kommunaler Kirchenbau im späteren Mittelalter - Zur Einführung

Parello, Daniel: Der Beitrag bürgerlicher Fensterstiftungen an der Ausstattung spätmittelalterlicher Kirchenbauten



Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 5. Schweizerischen Geschichtstagen

Event: 
5. Schweizerische Geschichtstage
Organised by: 
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte und Universität Zürich
Event Date: 
06.06.2019
Place: 
Zürich
Language: 
d
Report type: 
Conference
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