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Panelbericht: Betongold. Neue Entwicklungen der Stadtgeschichte

Autor / Autorin des Berichts: 
Jonas Köppel
jonas.koeppel@rsnweb.ch
Universität Zürich

Citation: Köppel, Jonas: Panelbericht: Betongold. Neue Entwicklungen der Stadtgeschichte, infoclio.ch-Tagungsberichte, 21.06.2019. Online: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0175>, Stand: 07.11.2024.
Verantwortung: Florian Müller / Verena Rothenbühler
Referierende: Lina Gafner / Sebastian Kohl / Patrick Kury / Florian Müller
Kommentar:Ueli Haefeli

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Dieses Panel setzte sich zum Ziel, die aktuellen Trends der Stadtgeschichte und insbesondere die zunehmend interdisziplinäre wie auch privatwirtschaftliche Beschäftigung mit der Thematik zu untersuchen, denn Stadtgeschichte hat Hochkonjunktur, wie es Florian Müller und Verena Rothenbühler, die das Panel initiierten, selbst ausdrückten. Der Reichtum der Städte, ihre eigene Geschichte erzählen zu können; aber auch einen Reichtum an Geschichten in sich zu vereinen; und schliesslich auch der Reichtum an Räumen und Menschen, Interaktionen und Ausdrucksformen machen Städte nach wie vor zu dynamischen Orten der Geschichtsschreibung. Folglich war auch der thematische Inhalt des Panels so breit aufgestellt, wie es die Stadtgeschichte selbst ist. Mit gezielt grossen Bögen zwischen den einzelnen Themenfeldern wurden neueste Ergebnisse und Methoden der Stadtgeschichte durchleuchtet.

Das Panel läutete der am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung arbeitende SEBASTIAN KOHL (Köln) mit dem Titel „Die Relevanz historischer Städtevergleiche für das Verständnis gegenwärtiger Wohnungsphänomene“ ein. Seine zentrale These hierbei lautete, dass es in Städten, in denen im 19. Jahrhundert überwiegend Realkreditinstitutionen die Macht über den Wohnungsbau hatten, mehr Mietwohnungen gab und folglich diese Städte bis heute dichter bebaut und bewohnt werden. Die zweite These stützt sich auf die erste und besagt, dass in solch dichten Städten die Hauseigentümerrate proportional tiefer sei. Durch eine historische Aufarbeitung der vorhandenen Kreditinstitutionen und der durchschnittlichen Einwohnerdichte hunderter europäischer Städte bestätigte Kohl in erfrischend schlüssiger Art und Weise seine Thesen und demonstrierte, dass auch quantitative historische Forschungen mit sehr komplizierten Statistiken dem Publikum Freude und Interesse bereiten können. Auch wenn es sich bei den Resultaten um Mittelwerte handelt, findet man hier dennoch eine mögliche Erklärung auf die Frage, wieso die Schweiz eine solch starke Mieternation darstellt.

Unter dem Titel „Krisenpolitik und die Regulierung des liberalen Wohnungsmarktes in der Schweiz 1936-1950“ präsentierte FLORIAN MÜLLER (Zürich) eine historische Analyse des Tauziehens um den Wohnungsmarkt während des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz. Die hierbei zentrale Hypothese war, dass der überwiegend durch die Privatwirtschaft kontrollierte Wohnungsmarkt auch nach den Krisenmassnahmen des Bundes nicht genügend reguliert wurde, was auf eine schwache zentralstaatliche Position des Bundes schliessen lässt. Wiederum anhand von quantitativen Illustrationen zeigte Müller auf sehr verständliche und schlüssige Weise, dass während des Zweiten Weltkriegs die Wohnungsregulationen des Bundes, das heisst Subventionen und Mietpreisregulierung, ab 1942 eine Welle an kommunalen und subventionierten Neubauten auslösten und befeuerten. Mit dem Ende des Kriegs sank jedoch die Not und vor allem der politische Rückhalt für Wohnungsregulierungen, wobei verschiedene Verbände der Wohn- und Bauwirtschaft zunehmend Druck auf den Bund ausübten. Mit der für die Privatwirtschaft erfolgreichen Volksabstimmung zur „Wohnbauvorlage“ wurde 1950 wieder auf eine Regulierung des Bundes verzichtet und somit die Dominanz der Privatwirtschaft auf dem Wohnungsmarkt wiederhergestellt.

Der Vortrag von LINA GAFNER und PATRICK KURY (beide Basel) drehte sich um ein laufendes Projekt einer neuen Basler Stadtgeschichte. Projektleiterin Gafner erzählte in ihrem Teil vom inhaltlichen Aufbau, den verschiedenen Interessengruppen dieses zivilgesellschaftlichen Projekts sowie von den Forschungsschwerpunkten und -perspektiven der „Stadt.Geschichte.Basel“. Die Perspektiven beschäftigen sich hauptsächlich mit (Dis-)Kontinuitäten, dem Verhältnis zwischen Mensch und Nicht-Mensch und der Multilokalität einer Stadt. Die zugrundeliegende Frage sei dabei immer, was Stadt eigentlich ist. Aufgrund des Fehlens klarer Begrenzungen wird der Stadtraum vorwiegend aus raumsoziologischer Sicht als dynamisch und subjektiv verstanden, also die Multilokalität einer Stadt angenommen. Ein Einblick in den Band, der sich um das 19. Jahrhundert in Basel dreht, zeigte, dass diese Multilokalität einer Stadt einen sehr interessanten analytischen Zugriff darstellt. Anhand einiger chronologischer Eckpunkte zeigte Kury, dass mit der Kantonstrennung 1832/33 und dem Bedeutungsverlust des Stadtkantons auch eine Zeit der intensivierten internationalen Anbindung Basels begann. Während also Basel innerhalb der Schweiz an Bedeutung verlor, konnte es an anderen Orten, z.B. im Dreiländereck, unter den Rheinstädten oder über die Pharma-Industrie auch in Singapur stark an Bedeutung gewinnen. Aber auch in der Stadt selbst kam es in dieser Zeit zu grundlegenden Veränderungen im sozialen und politischen Umfeld. Hiermit wurden einige Grundaspekte der Multilokalität Basels illustriert.

In seinem Kommentar kam UELI HAEFELI nochmals auf die verschiedenen Referate zu sprechen. Bezüglich der Untersuchung des Gesellschaftsforschers Sebastian Kohl fragte er nach, ob es nicht doch einige kulturelle Muster gäbe, die es in den Statistiken miteinzubeziehen gelte. Dieser interpretative Spielraum bestehe noch, da die präsentierte Studie rein statistisch und nicht kausal argumentiere. Zu Florian Müllers Beitrag bemerkte Haefeli eher zeitgenössisch, dass dieses Tauziehen zwischen Wirtschaft und Bundesstaat nach wie vor aktuell ist. Speziell bei Patrick Kury und Lina Gafner hielt Haefeli fest, dass der Begriff der Multilokalität seiner Meinung nach nicht ganz korrekt verwendet oder noch nicht ganz ausgeschöpft werde. Er argumentierte, dass bereits der Begriff selbst in der Schweiz einen grossen historischen Wert habe, den es zuerst aufzuarbeiten gibt. Sehr interessant war auch seine These, dass obwohl die Stadt von Stadtforschenden oftmals als sehr diffuse Entität angesehen werde, ihre Bewohnerinnen und Bewohner doch ein sehr klares Bild davon hätten, was unter Umständen eine Stadtgeschichte stark bereichern würde.

Abschliessend wurde etwas selbstironisch bemerkt, dass der Beton aus dem Titel während des Panels zunehmend in Vergessenheit geraten war. Dennoch ist es der symbolische Wert des Betons, den eine Stadt als Signifikat hat. Unterstrichen wurde in diesem Panel vor allem, dass Stadtgeschichte nach wie vor en vogue ist und Stadtthemen nicht nur die Historikerinnen und Historiker beschäftigen. Ausserdem sind Städte ein zentraler Ort des Zusammenlebens vieler verschiedener Menschen und nur schon deshalb auch ein Ort, an dem die Politik ein verstärktes Interesse hat. Auch in diesem Spannungsfeld müssen sich Stadtforschende zurechtfinden. Letztlich ist die historische Stadtforschung, so zeigte sich auch in diesem Panel, immer noch sehr dynamisch und kann sich immer wieder an neuen soziologisch-historischen Methodiken neu erfinden.


Panelübersicht:

Kohl, Sebastian: Die Relevanz historischer Städtevergleiche für das Verständnis gegenwärtiger Wohnungsphänomene

Müller, Florian: Krisenpolitik und die Regulierung des liberalen Wohnungsmarktes in der Schweiz, 1936-1950

Gafner, Lina / Kury, Patrick: Multilokalität, Identität und Reichtum am Beispiel Basels



Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 5. Schweizerischen Geschichtstagen

Event: 
5. Schweizerische Geschichtstage
Organised by: 
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte und Universität Zürich
Event Date: 
07.06.2019
Place: 
Zürich
Language: 
d
Report type: 
Conference