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Panel: Die Aushandlung der Macht an den Rändern der Imperien, 1756–1815

Autor / Autorin des Berichts: 
Sophia Polek, Universität Basel
sophia.polek@unibas.ch


Zitierweise: Polek, Sophia: Panel: Die Aushandlung der Macht an den Rändern der Imperien, 1756–1815, infoclio.ch Tagungsberichte, 2016. Online: infoclio.ch, <http://dx.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0114>, Stand:


Verantwortung: Flavio Eichmann
Referierende: Tanja Bührer / Flavio Eichmann
Kommentar: Stig Förster

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Thematisch siedelte sich das Panel „Die Aushandlung der Macht an den Rändern der Imperien, 1756–1815“ der Berner Delegation des Lehrstuhls für Neueste Geschichte im Bereich der Imperien-, Kolonial- und Globalgeschichte an. Das erklärte Ziel des Panels war es, den eurozentrischen Blick auf historische Ereignisse aufzubrechen, indem die Forschenden sich auf Prozesse der Machtaushandlung in den imperialen Peripherien konzentrieren. Dabei sollten insbesondere die Krisen und Kriege im späten 18. Jahrhundert „global“ untersucht werden. Die beiden Vorträge verbindet der globalgeschichtliche Ansatz sowie die Fokussierung auf die imperialen Randgebiete, wobei die lokalen Eliten und die aus den imperialen Metropolen entsandten Intermediäre im Zentrum der Analyse standen.

Der erste Beitrag hatte Südindien im Zeitalter der Revolutionen (1770-1880) zum Gegenstand. Entgegen der üblichen Darstellung konnte die East India Company ihre imperialen Visionen für Indien nach dem „Untergang des Mogulreiches“ nicht einfach in einem Machtvakuum implementieren, sondern musste ihre Macht regional aushandeln. Es ist dieser Aushandlungsprozess zwischen den indischen Höfen und den britischen Gesandten mit dem regionalen Schwerpunkt auf dem Fürstenstaat Hyderabad, für den sich TANJA BÜHRER interessiert. Der Prozess verlief einerseits auf einer vertraglichen Verhandlungsebene und andererseits auf einer symbolisch-rituellen Ebene der Machtrepräsentation und Legitimierung von Herrschaft.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts befand sich das British Empire in einer prekären Situation: Der Verlust der nordamerikanischen Kolonien war absehbar und auch die östlichen Kolonien begannen zu wackeln, als die East India Company eine bittere Niederlage gegen den Sultan von Mysore, der sich mit französischen Militärunternehmern verbündet hatte, hinnehmen musste. Die Briten intensivierten daraufhin die diplomatische Interaktion in Südindien, um ihren Machtanspruch auf dem Subkontinent zu behaupten. Dabei waren die britischen Gesandten an den indischen Höfen wenig geachtet und wurden wie Vakile (Vertreter) behandelt, die für die Zeit der Vertragsausarbeitung an den Höfen lebten und von ihrem jeweiligen Patron, dem Sultan oder Nisam, abhängig waren. Die britischen Intermediäre befanden sich also in einem doppelten Patronageverhältnis: Sie vertraten die East India Company, lebten aber von der Gunst der indischen Herrscher, mit denen sie Verträge abschließen sollten. Dazu gehörte auch, dass die Intermediäre die höfischen Bräuche respektierten. Die britischen Gesandten mussten ihre Pläne und ihre Machtposition also im Rahmen eines komplexen lokalen Patronagegeflechts aushandeln.
Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg brachte eine neue Dynamik in den Konflikt zwischen Frankreich und Großbritanien, der sich durch die Koalitionskriege und die Napoleonischen Kriege weiter zugespitzt hatte. Die lokalen indischen Machthaber blieben jedoch gegenüber den Entsendungen britischer und französischer Streitkräfte nach Indien nicht passiv: Tipu Sultan von Mysore begann etwa, mit französischer Hilfe seine Herrschaft in Südindien auszuweiten, bis die Briten schließlich Mysore eroberten und Tipu Sultan in einer Schlacht fiel. Es entstand eine Asymmetrie der Macht zugunsten der Briten, sodass die regionale Macht fortan nicht mehr verhandelt, sondern von den Briten unilateral festgesetzt wurde.

Auch auf Martinique, der reichen und geostrategisch wichtigen Zuckerkolonie in der Karibik, brauchten die europäischen Kolonialmächte die Unterstützung der lokalen Elite. 1802 ging Martinique nach acht Jahren britischer Herrschaft zurück an Frankreich. Die reiche Pflanzerelite von Martinique wollte jedoch nicht wieder Teil der Republik werden. Die Pflanzer fürchteten, dass man sich wegen ihrer Beteiligung am „White House Verrat“ an ihnen rächen, der Merkantilismus wieder eingeführt und die Sklaverei abgeschafft würde. Zudem waren die Pflanzer größtenteils Royalisten. Im Bewusstsein, dass die lokale Macht nur mit Hilfe der reichen Pflanzer zu behaupten war, versuchte der Generalgouverneur Villaret de Joyeuse mit allen Mitteln, die Gunst der kolonialen Eliten zu gewinnen. Er vergab hohe administrative Posten an die Pflanzerelite, ließ den Handel mit nicht-französischen Händlern weiterhin zu, tolerierte das blühende Schmuggelgeschäft mit den umliegenden britischen Kolonien und erlaubte den Pflanzern, ihre Vermögen auf britischen Banken zu lagern. Villaret profitierte von diesen Vorgängen, veruntreute in großem Stil Geld und bekam von den Martiniquer Pflanzern eine Villa in Paris geschenkt. Martinique war somit de jure eine französische Kolonie, funktionierte de facto aber als Teil des informellen britischen Imperiums. FLAVIO EICHMANN betonte, dass Villarets Martinique-Politik die Autorität der Metropole stark unterminierte und die französischen Kriegshandlungen desavouierte. Eichmann interessiert sich für die Hintergründe des Loyalitätskonflikts auf Martinique und für die Auswirkungen dieser subversiven Herrschaftsstrukturen auf die Napoleonischen Kriege.

Bekanntlich verlor Napoleon den Krieg gegen das europäische Bündnis, doch bei der Erklärung der Niederlage hätten Historikerinnen und Historiker bisher den Einfluss Martiniques übergangen, so der Referent. Noch vor der entscheidenden Seeschlacht von Trafalgar sollte ein Teil der französischen Flotte unter Vizeadmiral Villeneuve die Truppen in Martinique verstärken, um umliegende britische Besitzungen anzugreifen. Sie eroberten Dominica, wobei der dortige Gouverneur jedoch nicht kapitulierte. Er hatte nämlich durch die Pflanzer von Martinique erfahren, dass die Franzosen unter Zeitdruck stünden und keine lange Belagerung durchführen würden. Schnell erkannten die Franzosen, dass sie verraten worden waren. Weitere Einheiten blieben daraufhin im Hafen von Martinique. Einen weiteren Angriff, diesmal auf Barbados, meldeten die Franzosen den Martiniquais zwar nicht, doch sie hatten zu lange gewartet: Unterwegs nach Barbados erfuhren die Franzosen, dass Lord Nelson bereits dort eingetroffen war, worauf sie, einen weiteren Verrat befürchtend, trotz massiver Überzahl abdrehten und nach Europa flohen. So verpasste die französische Flotte eine vorgezogene Entscheidungsschlacht, die Frankreich militärisch wie handelstechnisch Überhand über die Briten hätte verschaffen können. Die City of London hing nämlich finanziell von den West Indies ab und mit der City auch das Britische Imperium und das gesamte europäische Bündnis gegen Napoleon. Das Geschäft mit der Karibik war weit verzweigt und spülte enorme Geldsummen in die City, die ihrerseits Kriegskredite an Großbritannien und an andere europäische Großmächte vergab. Wäre die Zahlungsfähigkeit durch eine französische Eroberung der britischen karibischen Kolonien gestört worden, hätte dies laut Eichmann den weiteren Verlauf der Napoleonischen Kriege beeinflussen können. Die subversiven Machtstrukturen auf Martinique seien also entscheidend für den als „europäisch“ deklarierten Krieg gewesen. Eichmann plädierte dafür, dass solche „europäischen“ Ereignisse künftig global gedacht werden sollten.

Dieses Votum wurde auch in der Diskussion, die von STIG FÖRSTER geleitet wurde, aufgegriffen: Die globalen Dimensionen müssten in Betracht gezogen werden, um die europäische Geschichte überhaupt verstehen zu können. Geschichte sei ein Flechtwerk und Historikerinnen und Historiker müssten deshalb verzweigt forschen. Dabei sei es wichtig, immer wieder vom Lokalen auf das Globale und vom Globalen auf das Lokale zu schauen, um einen einseitigen Blick zu vermeiden. In der Diskussion kamen viele thematische Fragen auf, beispielsweise zu Einzelheiten der Zuckerverarbeitung. Dringlicher scheint für Nachwuchsforschende jedoch die Frage zu sein, wie eine solche „globale“ Geschichte geschrieben werden kann. Um „global“ zu forschen muss die eurozentrische Quellenauswahl durch Hinzunahme von lokalen Quellen durchbrochen werden, was zwingend erfordert, den Fremdsprachenerwerb zu einem festen Teil des Geschichtsstudiums zu machen. Zudem wäre es denkbar, weit verzweigte Themen in größeren Forschungsgruppen zu bearbeiten, die in verschiedenen Teilen der Welt arbeiten und ihre Ergebnisse zusammenführen. Schließlich muss auch der Ansatz der Globalgeschichte kritisch hinterfragt werden. Dieser lässt nämlich häufig außer Acht, dass „Europa“ nicht nur aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland besteht: Auch innerhalb Europas gab und gibt es Peripherien und koloniale Verhältnisse. So werden viele Regionen (z.B. das östliche Europa) vernachlässigt und nur selten in „europäische“ Studien miteinbezogen. Das Berner Panel gab hierfür spannende thematische Einblicke und erste methodische Denkanstöße.


Panelübersicht:

Bührer, Tanja: Interkulturelle Diplomatie und Spionage: Südindien im Zeitalter der Revolutionen (1770-1800)

Eichmann, Flavio: Zwischen zwei Imperien: Martinique 1802-1809

Event: 
4. Schweizerische Geschichtstage 2016
Organised by: 
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte und Universität Lausanne
Event Date: 
09.06.2016
Place: 
Lausanne
Language: 
d
Report type: 
Conference