Die Bibliographie der Schweizergeschichte (BSG) feiert 2013 ihr hundertjähriges Bestehen. Zum Jubiläum veranstaltete die Schweizerische Nationalbibliothek (NB) zusammen mit der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte (SGG) einen Workshop zum Thema Geschichtsbibliografien im digitalen Zeitalter.
Der Workshop wurde von MARIE-CHRISTINE DOFFEY, Direktorin der Schweizerischen Nationalbibliothek und SACHA ZALA, designierter Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte eröffnet. Zala wies darauf hin, dass die Bibliographie der Schweizer Geschichte (BSG) von der Allgemeinen Geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz - der heutigen Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte (SGG) gegründet wurde. Sie erschien erstmals 1914 für das Berichtsjahr 1913. Erst seit der Gründung der BSG wird eine systematische Auswertung der Literatur zur Schweizer Geschichte vorgenommen. Zala betonte, wie wichtig es für die BSG sei, die Schweizerische Nationalbibliothek als starken Partner zu haben. Seit 1958 wird die BSG von der Schweizerischen Nationalbibliothek herausgegeben.
NATHALIE VUILLEUMIER, Redaktorin der BSG, präsentierte einige Zahlen und Fakten zur Bibliographie der Schweizerischen Geschichte. Die BSG erfasst alle zur Schweizer Geschichte erschienenen Monografien wie auch unselbständige erschienen Zeitschriftenartikel. Seit 2008 wird die BSG nicht mehr in gedruckter Form herausgegeben, sondern kann als PDF heruntergeladen werden oder über die Online-Datenbank abgefragt werden. Die bibliografischen Daten der Jahre 1975 bis 1998 wurden anhand der gedruckten Bände retrospektiv erfasst und sind in die Datenbank integriert worden. Die Jahre 1913 bis 1975 können über das Portal retro.seals.ch eingesehen werden.
Ende 2013 wird die BSG über einen neuen Bibliothekskatalog erreichbar sein. Der neue Katalog wird den BenutzerInnen einige verbesserte Funktionen bieten: Neu wird es eine Facettensuche geben, über einen Linkresolver kann ein Titel direkt im Bestand der NB gesucht werden und Suchergebnisse können für die Speicherung in Literaturverwaltungsprogrammen exportiert werden. Zudem sollen Neuigkeiten zur BSG künftig als RSS-Feeds abonniert werden können.
CLAUDIA ZEY, Professorin für Allgemeine Geschichte des Mittelalters am Historischen Seminar der Universität Zürich, ging in ihrem Vortrag der Frage nach, was die Geschichtswissenschaft von der Fachbibliografie der Zukunft erwartet. Zey wies darauf hin, dass heute das Bibliografieren sehr viel einfacher geworden ist, da sich praktisch alle Informationen am eigenen Computer zusammentragen lassen. Die Masse der zur Verfügung stehenden Informationen sei aber wiederum auch ein Erschwernis, da man relevante Suchergebnisse von nicht relevanten trennen müsse. Zur Beantwortung der Frage, ob die Geschichtswissenschaft künftig überhaupt noch Fachbibliografien braucht, versuchte Zey eine Bibliografie zum Begriff "Investiturstreit" über drei verschiedene Suchmethoden zusammenzustellen.
Die Suche über Google bzw. Google Scholar brachte abgesehen vom entsprechenden Wikipedia-Eintrag, der einige nicht mehr ganz aktuelle Einführungsliteratur auflistete, kein befriedigendes Ergebnis.
Als Nächstes suchte Zey den Begriff in Bibliothekskatalogen. Die Suche im Katalog der Bayrischen Staatsbibliothek führte zu 300 Treffern, wobei laut Zey durchaus die relevante Literatur gefunden wurde. Allerdings handelte es sich bei den Treffern, abgesehen von ein paar Sammelbänden, nur um Monografien; Zeitschriftenartikel zum Thema konnten über diese Suchart nicht gefunden werden. Die automatische Sortierung nach "Relevanz" erachtete Zey als problematisch, da für den Nutzer nicht ersichtlich ist, nach welchen Kriterien die Gewichtung der Ergebnisse zustande kommt.
Bei der Suche über den Karlsruher Virtueller Katalog zeigte sich das Problem, dass das Suchergebnis bei jeder neuen Suche leicht variierte. Im Katalog swissbib stiess Zey auf den Empfehlungsdienst "bibtip" welcher die Nutzer auf andere Bücher aufmerksam machen soll. Zey hält den wissenschaftlichen Nutzen solcher Dienste für eher fragwürdig.
Zey stellte fest, das Fachbibliografien für die Geschichtswissenschaft nach wie vor wichtig sind und weder durch Google noch durch neue Formen von Katalogsuchen ersetzt werden können.
Um Fachbibliografien noch zu Verbessern, wäre es laut Zey wünschenswert, dass fachspezifischen Angebote besser verlinkt würden, so dass man nicht zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommt, je nach dem, von welchem Dienst die Suche gestartet wurde. Die Schlagworte der verschiedenen Sprachen sollten miteinander verlinkt werden, so dass beispielsweise eine Suche in englischer Sprache auch deutsche Treffer liefert und umgekehrt. Auch eine Metasuche über ein fachspezifisches Rechercheportal hält Zey für sinnvoll. Weitere Verbesserungsmöglichkeiten wären laut Zey eine konsequentere Verlinkung der bibliografischen Daten mit zugehörigen Bild- und Textangeboten, die bessere Berücksichtigung der internationalen Forschung und multidisziplinärer Ansätze sowie die leichtere Exportierbarkeit der Daten in Literaturverwaltungssysteme.
GREGOR HORSTKEMPER, Fachkoordinator für Geschichte an der Bayrischen Staatsbibliothek, stellte in seinem Vortrag die Möglichkeiten und Chancen der Fachbibliografien im Online-Zeitalter vor. Horstkemper ging in einem ersten Punkt auf die veränderten Umfeldbedingungen der Fachbibliografien ein. Er wies darauf hin, dass heute Suchmaschinen der häufigste Einstiegspunkt für die Recherche nach historischen Sachverhalten sei, was zu "populären Zweifeln" an der Existenzberechtigung von Fachbibliografien führen würde. Fachbibliografien von öffentlichen Institutionen würden auch immer mehr durch kommerzieller Anbieter konkurrenziert, welche teilweise zwar fachliche gute Produkte anbieten, diese aber nicht für alle frei zugänglich machen.
Am Beispiel der Bibliografie "Nederlandse Geschiedenis" stellte Horstkemper neue Formen von bibliografischen Datenbanken vor. Die Offenlegung der verwendeten Normdaten in den Bereichen Sachklassifikation, Personen, Schlagworte und Zeiträume macht es dem Benutzer einfacher, den richtigen Suchbegriff für seine Suche zu finden. Die kartenbasierte Suche erweitert die Datenbank um ein spielerisches Element. Um einen Titel möglichst einfach in einer Bibliothek zu finden, wurden die Treffer mit den Diensten PiCarta und WorldCat verlinkt.
Auch die bibliografische Datenbank Historical Abstracts bietet neue Formen der Suche an. Beim SmartText Searching kann statt eines Stichworts ein ganzer Textabschnitt in das Suchfeld eingegeben werden. Der Test mit einem Abschnitt aus dem Wikipedia-Artikel zum Deutschen Bauernkrieg zeigte, dass die Historical Abstracts offenbar nur englische Stopp-Wörter gespeichert haben. Die Eingabe von deutschen Texten führt deshalb zu unbrauchbaren Ergebnissen, da Wörter wie "der", "die" oder "das" überbewertet werden. Eine weitere neue Suchmöglichkeit ist das Visual Searching, eine Art Facettensuche mit visueller Unterstützung.
Weitere Dienste der Historical Abstracts sind ein Link-Resolver (SFX) über den direkt auf den gefunden Artikel zugegriffen werden kann, falls eine entsprechende Lizenz vorhanden ist, eine Permalink-Funktion, welche die Weitergabe des Links auf den gefundenen Datensatz ermöglicht, eine Bookmarking-Funktion, sowie die Möglichkeit den Datensatz in ein Literaturverwaltungsprogramm zu exportieren.
Eine neue Form von Fachbibliografien stellen Kollaborative Bibliografien dar, wobei Fachleute über Literaturverwaltungsdienste ihre gesammelte Literatur mit ihren Fachkollegen teilen und so eine ständig wachsende thematische Bibliografie erstellen. Ein Beispiel eines solchen Projekts ist die Bibliografie der International Society for First Wold War Studies.
Ein neuer Trend bei der Online-Recherche sind auch die sogenannten Discovery Services, wobei neben dem jeweiligen Bibliothekskatalog auch tausende Zeitschriften und Datenbanken durchsucht werden. Die Tests von Gregor Horstkemper in den Katalogen der Universitätsbibliotheken Freiburg, St. Gallen und Mannheim zeigten jedoch, dass die Suche sehr viele unbrauchbare Resultate liefern. Es zeigte sich auch, dass die Metadaten der verschiedenen Anbieter oft nicht miteinander kompatibel sind.
Laut Horstkemper eröffnet die Universalisierung der Katalogsysteme neues Potential für geschichtswissenschaftliche Bibliografien. Die technischen Möglichkeiten können die internationale Zusammenarbeit zwischen den Bibliotheken erleichtern. Wichtig wäre aber, dass Erschliessungssysteme wie Klassifikationen und Normdaten kompatibel gemacht werden. Auch das Problem der Multilingualität müsste gelöst werden.
KARIN VON WARTBURG, Leiterin der BSG, ging auf die grosse Vielfalt an historischen Bibliografien in der Schweiz ein. Aus Anlass des Jubiläums der BSG hat die Schweizerische Nationalbibliothek eine Broschüre mit Kurzporträts der historischen Bibliografien in der Schweiz zusammengestellt. Die Daten wurden mit Hilfe eines Fragebogens, welcher an die Redaktoren der Bibliografien gesendet wurde, gesammelt. Von Wartburg wies darauf hin, dass es viele Überschneidungen gibt und viele Publikationen in mehrere Bibliografien aufgenommen werden, wobei in der Regel jede Redaktion die Daten neu erstellt. Laut von Wartburg wäre es wünschenswert, wenn die Bibliografien miteinander verlinkt werden könnten. Auch eine Metasuche über alle historischen Bibliografien könnte sie sich vorstellen. Von Wartburg ist es ein Anliegen, dass die geleistete Arbeit der Fachbibliografien besser bekannt gemacht wird.
Die Frage, in welcher Form die historischen Bibliografien der Schweiz besser zusammenarbeiten können und welche technischen Möglichkeiten sich für die Verknüpfung der Datensätze ergeben, war auch Thema der abschliessenden kurzen Diskussionsrunde. Dabei zeigten sich die unterschiedlichen Anliegen der Forschenden und der Bibliografen. Für die Forschenden ist es nicht entscheidend, dass der Benutzer weiss, woher die Daten kommen, sondern dass sie möglichst vollständig sind. Für die Bibliografen ist es aber wichtig, dass ihre geleistete Arbeit sichtbar bleibt, nicht zuletzt um die Bedeutung ihrer Arbeit gegenüber den Geldgebern zu belegen.
Es zeigte sich eine gewisse Übereinstimmung darüber, dass eine gute Verlinkung der Datensätze unter den Bibliografien wichtiger sei, als eine Metasuche über alle Bibliografien.
Ab 12.45 Uhr: Eintreffen / Kaffee
13.30 Uhr: Begrüssung durch Marie-Christine Doffey, Direktorin der Schweizerischen Nationalbibliothek
Begrüssung durch Dr. Sacha Zala, designierter Präsident Schweizerische Gesellschaft für Geschichte und Direktor Diplomatische Dokumente der Schweiz
13.40 Uhr: Begrüssung durch die Organisatorin des Workshops und kurze Präsentation der Bibliographie der Schweizergeschichte
14:00 Uhr: Prof. Dr. Claudia Zey (Historisches Seminar Zürich): Was erwartet die Geschichtswissenschaft von der Fachbibliografie der Zukunft?
15:15 Uhr: Gregor Horstkemper (Bayerische Staatsbibliothek, Fachkoordination Geschichte): Möglichkeiten und Chancen der Bibliografien im Online-Zeitalter
16.15 Uhr: Zusammenfassung Bibliografienlandschaft in der Schweiz und Diskussion
17.00 Uhr: Abschluss