Das interdisziplinäre und zeitenübergreifende Kolloquium 'Kloster und Herrschaft' setzte sich mit Fragen politischer Bedingungen klösterlichen Lebens auseinander und nahm dazu Zeiten des Umbruchs in den Blick. Die Beiträge akzentuierten Situationen herrschaftlicher Legitimation von Klöstern, Wandel in Ausdrucksformen monastischer Frömmigkeit sowie Neuanfänge, die sich in Ausbau und Neugestaltung klösterlicher Anlagen manifestieren. Nachwuchsforscherinnen und Nachwuchsforscher präsentierten und diskutierten gemeinsam mit erfahrenen Forschenden Projekte, die sich mit der Rolle Muris und anderer schweizerischer Klöster als Produzenten von Wissen und Wahrer von Tradition sowie als Pfeiler gesellschaftlicher und politischer Macht befassen.
Die Initiative zur Veranstaltung 'Kloster und Herrschaft' ging von einer Gruppe von Doktorierenden der Universitäten Zürich und Fribourg aus, die sich mit wesentlichen Fragen der eng mit dem Hause Habsburg verbundenen Geschichte der bald tausendjährigen Klöster Muri-Gries und Hermetschwil befassen. Ziel der neuen Kolloquiumsreihe ist die Etablierung eines Forums, an dem über Fächer- und Epochengrenzen hinaus Fragestellungen und Probleme von Qualifikationsschriften zur Diskussion gestellt werden können. Darüber hinaus verfolgen die Organisatorinnen das Ziel, sich mit Forschenden verschiedener Disziplinen zu vernetzen, die sich mit der klösterlichen und der habsburgischen Geschichte befassen. Ferner soll der Austausch zwischen regional Geschichtsforschenden und universitärer Forschung gefördert werden. Eine nächste Veranstaltung im 2014 ist in Planung.
Stiftung und Memoria
An die Einleitung von MARTINA STERCKEN (Zürich) anschliessend zeigten FRANZISKA JAHN und CHARLOTTE BRETSCHER-GISIGER in ihren Beiträgen, dass es sich beim Aspekt der Memoria um ein omnipräsentes Faktum monastischer Kultur handelt. Unterschiedliche Quellen zeugen von Memoria und verweisen gleichzeitig auf ganz unterschiedliche Funktionalitäten: Geht es im einen Fall um existentielle Fragen, steht im anderen Fall das Seelenheil im Vordergrund. Im Beitrag von Franziska Jahn wurden die Bedeutungszuschreibungen sichtbar gemacht, welche den Stiftergräbern in Muri durch die Jahrhunderte gegeben wurden. Am Beispiel von Abt Johann Jodok Singisen (ca. 1557–1644) manifestiert sich, dass Memoria gerade dann wichtig zu werden schien, wenn es darum ging, die Bedeutsamkeit des Klosters Muri und des Abtes durch Anlehnung an die zu jener Zeit mächtigen Habsburger herauszustreichen. Charlotte Bretscher-Gisiger vermittelte die Allgegenwart und den Variantenreichtum klösterlicher Memoria als Form der Annäherung an die einst mächtigen Habsburger in den jüngst neu übersetzten und kommentierten Acta Murensia (um 1400).
Monastische Lebenswelt
Anschliessend an die Einleitung von MARKUS RIES (Luzern) zeigten GUIDO GASSMANN und RUTH WIEDERKEHR in ihren Beiträgen zu monastischen Lebenswelten im Mittelalter eindrücklich, wie über teils schwer zugängliche Quellen Aussagen über Alltagspraktiken im Kloster und bisher von der Forschung marginalisierte Gruppen möglich werden. Guido Gassmann präsentierte seine Untersuchung zum Konverseninstitut der Zisterzienser im 11. und 12. Jahrhundert auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. Die Rekonstruktion der Lebensverhältnisse und Lebensformen basiert auf lokalen Quellen und zeigt vielfältige Variationen zwischen den neun untersuchten Abteien. Ruth Wiederkehr thematisierte deutschsprachige Gebetbücher sowie deren Charakter und Gebrauch im monastischen Alltag in Frauenklöstern des 14. und 15. Jahrhunderts. Differenziert vorgestellt wurde insbesondere das Hermetschwiler Gebetbuch. Ausserdem vermittelte die Referentin Probleme und Potential, welche die Quellengattung Gebetbuch für die literaturwissenschaftliche und philologische Mediävistik bereithält.
Kurzbeitrag
Der geplante Vortrag von MARIA ROTTLER zum Thema Schule und Orden in der Sattelzeit konnte nicht stattfinden. In ihrem Namen wurde aber auf den Blog Ordensgeschichte hingewiesen, dessen Ziel – die Vernetzung von Forschenden zum Thema Klöster – mit der Veranstaltung einhergeht. Der Kurzbeitrag von MICHAEL HOHLSTEIN vermittelte Ideen und Problematik eines neuen Forschungsprojektes des Lehrstuhls von GABRIELA SIGNORI (Konstanz). Am Beispiel einer spätmittelalterlichen Klosterlandschaft (13.–15. Jahrhundert) soll die Integration sozialer Räume in ihrer Dauer und Veränderung untersucht werden. Im Dialog mit den Teilnehmenden wurde die Problematik der räumlichen Grenzziehung (Bodensee) für eine Klosterlandschaft mit Netzwerken, die über diesen geografischen Raum hinausreichen diskutiert. Auch wurden Probleme der Quellenlage, namentlich jenes diverser nicht erschlossener Handschriften verschiedener Schweizer Archive, erörtert. Die Beziehungen der Bodenseeklöster reichten weit in das Gebiet der heutigen Schweiz, weshalb die Forschergruppe auf transnationale Netzwerke angewiesen ist.
Neuanfänge
In den letzten beiden Beiträgen war insbesondere die Krise und die Bewältigung von Krisenzeiten Thema. Im Anschluss an CARLO MOOS’ (Zürich) Einführung stellte PASCAL PAULI Überlegungen zu Zielsetzung und Wandel der Neubaupläne im Kloster Muri nach 1789 während Helvetik, Mediation und Restauration an. Im finalen Beitrag der Tagung referierte ANJA BUSCHOW OECHSLIN zu barocken Umbauideen, Gründe des Scheiterns und Umsetzungen im Kloster Einsiedeln im 17. und 18. Jahrhundert. Für beide Vorträge galten die Schlagworte 'Erneuerungswille' und 'Tradition'. Zeigt sich am Beispiel des Klosters Einsiedeln, dass beim Neubau vor allem Platzfragen im Vordergrund standen und Repräsentation kontrovers beurteilt wurde, musste das Kloster Muri auch auf äussere Einflüsse Rücksicht nehmen: Einerseits war man wie andernorts einem fürstlichen Baustil verpflichtet, um der Repräsentation Genüge zu tun, andererseits wollte man mit der Vergrösserung der Klosteranlage Raum schaffen, um neue Aufgaben im Bildungsbereich zu übernehmen und damit den Nützlichkeitsforderungen der Aufklärungszeit zu entsprechen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Wege Murensischer Memorialüberlieferung einerseits Hausüberlieferungen des Adels und andererseits allgemein liturgische oder spezifisch monastische Gedenktraditionen sind. Lokale Hinweise und schriftliche Erwähnung der Stiftergräber in Muri fehlen für mindestens das 15. Jahrhundert und dennoch bleibt die Memoria der Stiftergräber erhalten. Gerade für die Neuzeit stellt sich die Frage, ob die Murenser Memoria sich auch an der Machtentfaltung der Habsburger orientierte. Künftige Forschung sollte ausserdem die Chance nutzen, die Stiftergräber Muris mit Grablegungen der Nellenburgern in Schaffhausen und mit frühhabsburgischen Gräbern in Ottmarsheim zu parallelisieren. Fragen der Inszenierung kommen sowohl bei den Stiftergräbern als auch den Neubauprojekten zu den Klöstern Muri und Einsiedeln zur Sprache. Veränderte Imagevorstellungen aber auch das Drängen nach mehr praktischem Lebensraum tragen zu einer Entwicklung Richtung zweckorientierter Bauprojekte bei. 'Praxisorientiert und weniger inszeniert' trifft auch auf die Quellengattung (mittelalterliches) Gebetbuch zu. Die darin enthaltenen Aspekte klösterlicher Lebenswelten vermitteln konkrete Einblicke in alltägliche Gebetshandlungen. Solch interne Literatur ergänzen regionale Schriftsammlungen, wie Nekrologien, Urkunden oder Jahrzeitbücher. Sie erhellen Bereiche mittelalterlicher Sozial-, Wirtschafts- und Frömmigkeitsgeschichte und vermitteln beispielsweise Ideen monastischer Arbeitsfelder. Zusätzliche Forschung zu epochenübergreifenden Langzeitentwicklungen sowie Brückenschläge zwischen monastischer und ausserklösterlicher Welt resultieren als Forschungsdesiderat.
An diesem interdisziplinären Kolloquium haben Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen sowie etablierte Forschende der Fachrichtungen Geschichte, Germanistik, Mittelalterarchäologie, Theologie (Kirchengeschichte), Kunstgeschichte, Mittellatein und Handschriftenkunde aktuelle Projekte zum übergeordneten Thema Kloster und Herrschaft diskutiert. Den Veranstalterinnen gelang es, einen zeiten- und disziplinenübergreifenden Bogen zu spannen und sechs unterschiedliche Projekte, gegliedert in die Themenblöcke Memoria, klösterliche Lebenswelten und Neuanfänge, ausführlich und gewinnbringend zu besprechen. Für Informationen zur nächsten Veranstaltung in dieser Reihe und die Präsentation aktueller Forschungsprojekte zur Geschichte des Klosters Muri dient die Projektseite www.geschichte.kloster-muri.ch.
Konferenzübersicht
Franziska Jahn (Historikerin, Zürich): Die 'frühhabsburgischen Stiftergräber' der Klosterkirche Muri in archäologischer und historischer Perspektive.
Charlotte Bretscher-Gisiger (Mittellateinerin), Christian Sieber (Historiker): Memoria in den Acta Murensia aus klösterlicher und habsburgischer Perspektive.(1)
Guido Gassmann (Kirchenhistoriker, Fribourg): Konversen im Mittelalter. Eine Untersuchung anhand der neun Schweizer Zisterzienserabteien.
Ruth Wiederkehr (Germanistin, Zürich): Deutschsprachige Gebete des 14. und 15. Jahrhunderts im monastischen Alltag eines Frauenklosters. Eine Analyse des Sarner Gebetbuchbestands.
Maria Rottler (Historikerin, Regensburg): Schule und Orden in der Sattelzeit. Das Engagement der Orden im Elementarschulwesen in Bayern und Böhmen.(2)
Michael Hohlstein (Historiker, Bielefeld): Klöster und Klausen am Bodensee. Integration und Desintegration einer 'Klosterlandschaft'.
Pascal Pauli (Historiker, Zürich): Der Neubau des Klosters Muri im 18. Jahrhundert.
Anja Buschow Oechslin (Kunsthistorikerin): Notwendigkeit versus Pracht. Die barocken Neubauten des Klosters Einsiedeln.
Anmerkungen:
(1) Der Vortrag von Christian Sieber über Memoria in den Acta Murensia aus habsburgischer Perspektive konnte nicht gehalten werden.
(2) Der Kurzbeitrag von Maria Rottler über Schule und Orden in der Sattelzeit konnte nicht gehalten werden.