The Swiss portal for the historical sciences

Panelbericht: Feminism and the internationalization of gender and bio-politics (1870s-1940s)

Autor / Autorin des Berichts: 
Daniela Tenger



Zitierweise: Tenger, Daniela: Panelbericht: Feminism and the internationalization of gender and bio-politics (1870s-1940s), infoclio.ch Tagungsberichte, 2013. Online: infoclio.ch, <http://dx.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0041>, Stand:


Verantwortung: Jana Tschurenev
Referentinnen: Judith Grosse / Ludi Regula / Jana Tschurenev
Kommentar: Corinne A. Pernet

Das Panel „Feminism and the internationalization of gender and bio-politics (1870s-1940s)“ wird von JANA TSCHURENEV eröffnet. In ihrer Einleitung umreisst sie zunächst den thematischen Rahmen des Panels, welches sich ausgehend von der zunehmenden Politisierung von Frauenanliegen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mit dem wachsenden internationalen Aktivismus von Frauenbewegungen sowie mit den damit entstehenden Problemen auseinandersetzt. Die vorgestellten Studien tangieren diesen Themenbereich von sehr verschiedenen Ecken. So drehen sich die einzelnen Referate um Begegnungen zwischen Frauenaktivistinnen und Organisationen in der internationalen Arena, um den Austausch zwischen Feministinnen und Experten der Sexologie und Reproduktionswissenschaften sowie um die Zusammenarbeit von feministischen Organisationen mit internationalen Institutionen wie dem Völkerbund.

Den Anfang macht Jana Tschurenev mit ihrem Referat über das Aufeinandertreffen einer indischen Frauenrechtsaktivistin, Pandita Ramabai, mit der American Women’s Christian Temperance Union (WCTU). Die Agenda des WCTU, 1973 in den USA gegründet, war auf sittliche Reformen und das Frauenstimmrecht ausgerichtet. Die Mitglieder der Organisation waren vor allem protestantische, angelsächsische Mittelstandsfrauen, die sich, wie Tschurenev darlegt, als Hüterinnen ihrer „Rasse“ verstanden. Sie beschränkten ihre Mission jedoch nicht nur auf den angelsächsischen Raum, sondern gründeten weltweit Sektionen, so dass der WCTU eine Tendenz zum imperialen Feminismus nachgesagt werden kann. Indem Jana Tschurenev mit Pandita Ramabai auch die Perspektive der Gegenseite berücksichtigt, zeigt sie jedoch, dass man die Geschichte dieser Organisation nicht so einseitig sehen darf. Ramabai engagierte sich schon früh für Sozialreformen in Indien, reiste später nach Grossbritannien und in die USA, konvertierte zum Christentum und kam in Kontakt mit der WCTU. In der Folge gründete sie die Ramabai Association, ein Ableger der WCTU, die sich der Bildung junger Witwen annahm. In ihrem Reisebericht lobte Ramabai, dass sich die amerikanischen Frauen in Vereinen wie der WCTU organisieren, um ihre Unterdrückung zu überwinden. Die Analyse dieses Berichts zeigt also, dass Ramabai die amerikanischen Feministinnen keinesfalls als Imperialisten betrachtete, sondern vielmehr als bewundernswerte Kämpferinnen.

Im zweiten Referat geht JUDITH GROSSE einer ganz anderen Art von feministischer Begegnung nach. Unter dem Titel „Feminism and Sexology: Some International Encounters“ untersucht sie die gegenseitige Beeinflussung von Frauenbewegungen und Sexualwissenschaftlern. Ihr Fokus liegt dabei auf dem feministischen Abolitionismus, einer von Josephine Butler begründeten Frauenbewegung zur Abschaffung der staatlich reglementierten Prostitution. Während der Gründung der abolitionistischen Frauenbewegung sah der vorherrschende medizinische Diskurs die Prostituierten als Quelle der Geschlechtskrankheiten. Da der männliche Trieb befriedigt werden müsse, propagierten die Wissenschaftler nicht die Abschaffung der Prostitution, sondern eine staatlich regulierte Überprüfung der Gesundheit der Prostituierten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es jedoch zu einer Verschiebung in diesem Diskurs, da man nun dank neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen wusste, dass diese Überprüfungen nicht zur Bekämpfung der Krankheiten beitrugen. Gleichzeitig stieg das Wissen über das Gefahrenpotential der Geschlechtskrankheiten, so dass sich die Sexologen gezwungen sahen, zur vorehelichen sexuellen Abstinenz für beide Geschlechter zu raten. Damit erfüllten sie die langjährige Forderung der Abolitionistinnen, nämlich die moralische Gleichstellung der Geschlechter in Sexualfragen. Judith Grosse legt in ihrem Referat dar, dass es immer wieder zu Berührungspunkten und Austauschprozessen zwischen den Diskursen der Sexualwissenschaftler und den Diskursen der abolitionistischen Bewegung kam. So hat die Kampagne der Abolitionistinnen den Weg für die neue Abstinenz-Aufforderung der Sexologen geebnet, obwohl diese vor der Diskursverschiebung zu den grössten Gegnern der Frauenbewegung gehörten.

Die dritte Referentin dieses Panels, REGULA LUDI, beleuchtet mit ihrer Untersuchung über die Völkerbundstudie zum Status der Frauen in der Zwischenkriegszeit nochmals einen ganz anderen Aspekt der internationalen Frauenrechtsbewegung. 1938 setzte der Völkerbund eine Expertenkommission ein, die den Auftrag hatte, eine umfassende weltweite Studie zum rechtlichen Status der Frauen durchzuführen. Diese Expertenkommission war die Antwort des Völkerbundes auf die jahrelangen Bemühungen von internationalen Frauenorganisationen, die Frage des Frauenrechts auf internationaler Ebene zu diskutieren. Die Umsetzung der Studie war für die Frauenrechtlerinnen aber eher enttäuschend, denn die Experten entschieden, nur die legalen Rechte der Frauen zu untersuchen und beschränkten sich hierfür zwecks Vergleichbarkeit auf Länder mit westlichen Rechtssystemen. Obwohl viel Material gesammelt worden war, wurde die Studie auch nie zu Ende geführt; sie fiel dem Kriegsausbruch und der Auflösung des Völkerbundes zum Opfer. In ihrer Analyse hält Regula Ludi fest, dass die Studie aus Sicht der Frauenorganisationen trotzdem als Erfolg gewertet werden kann, manifestiert sie doch die Anerkennung von Frauenrechten als internationalen Gegentand. So gelang es der Frauenrechtsbewegung der Zwischenkriegszeit, den Status der Frauen als internationale Frage zu etablieren und damit den Weg für die weiteren Frauenrechtsbemühungen nach dem Zweiten Weltkrieg vorzubereiten. Diese Fallstudie veranschaulicht deshalb auch die Bedeutung von internationaler Wissensproduktion für die Institutionalisierung eines Themas auf der internationalen Agenda.

Die drei Referate wurden von CORINNE A. PERNET kommentiert. Sie betont noch einmal die in den Referaten ersichtliche zunehmende Politisierung und Internationalisierung der Frauenbewegung und weist darauf hin, dass transnationale Netzwerkforschung immer auch in lokalen Fallbeispielen verankert werden sollte. Die anschliessende Diskussion dreht sich um die methodische Frage, welche Begriffsbezeichnungen im Umgang mit solchen Organisationen angebracht sind, handelt es sich doch um sehr vielfältige Gruppierungen, die differenziert betrachtet werden müssen. Die Frage, ob Begriffe wie Frauenbewegung oder Feminismus eine geeignete Kategorisierung darstellen, bleibt wohl immer kontrovers. Trotzdem kann auf solche analytischen Kategorien nicht verzichtet werden, da sie für einen gemeinsamen Forschungsdiskurs unabdingbar sind.


Panelübersicht:

Jana Tschurenev: Between Feminist Internationalism and Imperialism: Pandita Ramabai and the American Women's Christian Temperance Union

Judith Grosse: Feminism and Sexology: Some International Encounters

Regula Ludi: Internationalizing the Status of Women: The League of Nations’ Examination of the Legal Status of Women

Event: 
3. Schweizerische Geschichtstage 2013
Organised by: 
Departement für Historische Wissenschaften der Universität Freiburg / Schweizerische Gesellschaft für Geschichte (SGG)
Event Date: 
08.02.2013
Place: 
Fribourg
Report type: 
Conference