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Panelbericht: Wissenstransfer in diplomatischen Diensten. Eidgenössische Reiseberichte aus London, Wien und Rom aus dem 17. Jh.

Autor / Autorin des Berichts: 
Maria Teresa Delgado Luchner, Unviersität Freiburg



Zitierweise: Delgado Luchner, Maria Teresa: Panelbericht: Wissenstransfer in diplomatischen Diensten. Eidgenössische Reiseberichte aus London, Wien und Rom aus dem 17. Jh., infoclio.ch Tagungsberichte, 2013. Online: infoclio.ch, <http://dx.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0025>, Stand:


Verantwortung: Thomas Lau / Andreas Behr
Referentinnen: Cécile Bannwart / Maria Teresa Delgado Luchner / Benjamin Krebs / Élise Marion / Severin Marty / Ursina Rathgeb
Kommentar: Wolfgang Reinhard

Mit dem von THOMAS LAU und ANDREAS BEHR geleiteten Panel Wissenstransfer in diplomatischen Diensten. Eidgenössische Reiseberichte aus London, Wien und Rom aus dem 17. Jh. geht die Universität Fribourg an den diesjährigen Schweizerischen Geschichtstagen laut Lau ein „pädagogisches Wagnis“ ein. Erstmals durften Studierende der Geschichtswissenschaften auf Bachelor- und Masterniveau an den Schweizerischen Geschichtstagen als Referierende auftreten. Ziel der Panelverantwortlichen war es, Studierenden der Universität Fribourg die Möglichkeit zu geben, ihre Forschungsarbeiten einem Fachpublikum zu präsentieren. Wie Behr erklärt, bietet die grosse Freiheit, welche die Panelverantwortlichen bei der Gestaltung ihrer Panels an den Schweizerischen Geschichtstagen geniessen, die idealen Voraussetzungen für dieses Pilotprojekt. Die Studierenden arbeiteten von Lau und Behr betreut ein Semester lang auf ihren Auftritt hin. Dabei erforschten die Studierenden selbstständig verschiedene eidgenössische Reiseberichte aus dem 17. Jh., wie Lau in seiner Einleitung zum Panel betonte. Mit WOLFGANG REINHARD konnte für das Panel einer der einflussreichsten Historiker unserer Zeit als Kommentator gewonnen werden.
In den drei durch die Studierenden erarbeiteten Referaten sollte aufgezeigt werden, woher eidgenössische Diplomaten im 17. Jh. das Wissen erwarben, welches sie zur Ausübung ihrer politischen Tätigkeit benötigten.

CÉCILE BANNWART und URSINA RATHGEB befassten sich mit Johann Jakob Stockars Reise nach England und die Niederlande von 1654.1 Der von den evangelischen Orten der alten Eidgenossenschaft entsandte Stockar sollte im ersten englisch-holländischen Seekrieg als Vermittler auftreten. Bannwart und Rathgeb stellten sich für ihr Referat die Frage nach dem persönlichen Nutzen der Reise für Stockar. Dazu betrachteten die Referentinnen zunächst die Auftraggeber der Reise und zeigten, dass Stockars Reise als ein „Joint venture“ verschiedenster Akteure, von kirchlichen Vertretern bis Anhängern der lokalen Elite, verstanden werden kann. Obwohl Stockar nur als Friedensvermittler entsandt worden war, gelang es ihm unter anderem, einen Briefwechsel zwischen Holland respektive England und den reformierten Orten der Eidgenossenschaft einzurichten, welcher dem Informationsaustausch diente. Stockar erwirkte auch Schutzzusicherungen von Holland und England für die evangelischen Orte, allerdings griffen weder England noch Holland je aktiv in den Villmergerkrieg ein. Bannwart und Rathgeb zeigten in der Folge, dass Stockar seinen Reisebericht zur Eigenstilisierung als „redlicher Schweizer“ nutzt und werteten dies als Beispiel für die unumgängliche Verflechtung staatlicher und persönlicher Interessen während der frühen Neuzeit.

MARIA TERESA DELGADO LUCHNER und ÉLISE MARION untersuchten Johann Georg Wagners Italienische.2 und Parisische Reyss.3 von 1661 und 1663. Bei diesen beiden Texten handelt es sich um die ersten gedruckten Gesandtschaftsberichte der Schweiz. Noch nie wurden die beiden Texte vergleichend untersucht. Die Referentinnen zeigten anhand von zahlreichen Textbeispielen, dass in den beiden Texten gänzlich unterschiedliche Diskurse geführt werden. Sie ordneten die Italienische Reyss, in welcher die Gemeinsamkeiten zwischen Eidgenossen und Italienern betont werden, einem Kongenialitätsdiskurs zu. In der Parisischen Reyss wird hingegen laut Delgado und Marion ein Alteritätsdiskurs geführt, da Wagner hier die Konflikte und Unterschiede zwischen Eidgenossen und Franzosen betont. Die Referentinnen kamen zu dem Schluss, dass Wagner den Alteritäts- und Kongenialitätsdiskurs dazu nutzt, um dem Leser zu zeigen, wie er sich in Italien, respektive Frankreich verhalten soll. Laut Delgado und Marion findet also über die beiden unterschiedlichen Diskurse, vor dem Hintergrund zweier Reisen vom lokalpolitischen Schauplatz Schweiz in die grossen Zentren europäischer Machtpolitik, eine Vermittlung von kulturellem Wissen statt.

BENJAMIN KREBS und SEVERIN MARTY befassten sich als drittes Team mit Beat Holzhalbs Reise nach Wien von 1677.4 Holzhalb sollte beim Habsburger Kaiser Leopold dem I. die Anerkennung der eidgenössischen Neutralität erreichen. Die Referenten stützten sich auf Wolfgang Reinhards Verflechtungstheorie, um aufzuzeigen, welche Kontakte Holzhalb in Wien nutzte, um eine Audienz beim Kaiser zu erlangen. Laut Krebs und Marty war die Befolgung des höfischen Zeremoniells der Schlüssel, um vor dem Kaiser vorsprechen zu dürfen. Anhand eines veranschaulichenden Schemas zeigten die Referenten Schritt für Schritt an wen Holzhalb sich wandte, und verwiesen auf den konkreten Nutzen, den die Kontakte für Holzhalb jeweils darstellten. Sie zeigten dabei, dass Holzhalb seine persönlichen Kontakte als Ausgangspunkt nutzte. Holzhalb konstruierte sich in der Ferne ein Netzwerk innerhalb eidgenössischer Kreise in Wien. Die Referenten bezogen sich auf Thiessen und zeigten, dass formelle Dienstverhältnisse und informelle Sozialbeziehungen in einander überflossen.5 Krebs und Marty werteten die Verflechtung von Öffentlichem und Privatem als ein Beispiel dafür, wie wenig institutionalisiert das eidgenössische Diplomatiewesen im 17. Jh. war. Der weitere Verlauf Holzhalbs politischer Karriere, 1681 wurde er Landvogt von Kyburg, lässt vermuten, dass er sich dank der erfolgreichen Gesandtschaftsreise wirkungsmächtig profilieren konnte.

Wolfgang Reinhard kommentierte abschliessend die drei Referate der Studierenden. Als Erfinder der Netzwerkforschung zeigte sich Reinhard darüber erfreut, seine Theorie in den Referaten zu Stockar und Holzhalb bestätigt zu sehen. Reinhard betonte die besondere Natur des eidgenössischen Diplomatiewesens im 17. Jh.: Im Gegensatz zu anderen Ländern kannte die Schweiz keine professionellen Diplomaten. Auch entsandte die Eidgenossenschaft keine ständigen Diplomaten, welche mehrere Jahre vor Ort blieben, um die eidgenössischen Interessen kontinuierlich zu vertreten. Die eidgenössischen Diplomaten waren in der Ferne daher darauf angewiesen, sich innert kurzer Zeit selbst ein Netzwerk aufzubauen, welches sie zur Verfolgung ihrer politischen und persönlichen Ziele nutzen konnten. Reinhard wandte sich lobend an die Studierenden erklärte jedoch, seiner Meinung nach sei der Versuch, den Wissenstransfer zu inkorporieren, gescheitert. Laut Reinhard finden bei Wagner nicht zwei unterschiedliche kulturelle Diskurse statt, wie von Delgado und Marion angenommen, sondern Wagner bewege sich in beiden Texten in der diplomatischen Kultur des 17. Jhs. Lau und Behr räumten ein, Begriffe wie „Kultur“ hätten vermutlich von der Panelleitung im Voraus genauer definiert werden müssen. Allerdings unterstützte Lau die von Delgado und Marion vertretene These ausdrücklich, indem er nochmals auf die stilistischen Unterschiede zwischen den beiden Texten hinwies. Reinhard zeigte sich darüber erstaunt, dass im Stockar-Referat keine Thematisierung kultureller Differenzen vorgenommen wurde. Bannwart und Rathgeb verwiesen darauf, dass Stockar selbst keine kulturelle Differenzierung in seinem Reisebericht durchführe, sondern das Volk allgemein als begeisterte Masse darstellte. Durch die Inszenierung des Erfolgs seiner Mission verschaffe sich Stockar Legitimität.
Insgesamt kann das erste Panel der Schweizerischen Geschichtstage, welches von Studierenden mitgestaltet wurde, als Erfolg gewertet werden. Für die Studierenden stellten die Referate die einmalige Gelegenheit dar, mit einem berühmten Historiker wie Wolfgang Reinhard zusammenzuarbeiten. Reinhard zeigte sich beeindruckt von der Qualität der Referate und freute sich darüber, dass sich die Studierenden nach seiner Kritik allesamt lautstark wehrten, wobei er die Einwände der Referierenden äusserst ernst nahm.

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1 Johann Jakob Stockar. Reise nach London. 1653-1654.
2 Johann Georg Wagner. Italienische oder Römische Reyss. 1664.
3 Johann Georg Wagner. Parisische Reyss. 1663.
4 Beat Holzhalb. Reise nach Wien. 1677.
5 Von Thiessen, Hillard (2010): Diplomatie vom type ancien. Überlegungen zu einem Idealtypus des frühneuzeitlichen Gesandtschaftswesens. In: Hillard von Thiessen/Christian Windler: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel. Köln, S. 476.


Panelübersicht:

Cécile Bannwart / Ursina Rathgeb: Johann Jakob Stockars Reise nach London (1653-54)

Maria Teresa Delgado Luchner / Eliase Marion: Johann Georg Wagners Italienische Summer oder Römer Reyß (1664)

Benjamin Krebs / Severin Marty: Beat Holzhalbs Reise nach Wien (1677)

Wolfgang Reinhard: Kommentar

Event: 
3. Schweizerische Geschichtage 2013
Organised by: 
Departement für Historische Wissenschaften der Universität Freiburg / Schweizerische Gesellschaft für Geschichte (SGG)
Event Date: 
07.02.2013
Place: 
Fribourg
Report type: 
Conference