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Panelbericht: Making Mountains Alpine: The «Global Alps» in the Perspective of Transoceanic Transfers of Knowledge, Goods, and Funds

Autor / Autorin des Berichts: 
Leila Girschweiler
leila.girschweiler@uzh.ch
Universität Zürich

Zitierweise: Girschweiler, Leila: Panelbericht: Making Mountains Alpine: The «Global Alps» in the Perspective of Transoceanic Transfers of Knowledge, Goods, and Funds, infoclio.ch-Tagungsberichte, 11.07.2022. Online: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0245>, Stand: 07.11.2024.

Verantwortung: Riccardo Rossi / Fynn Holm
Referierende: Stéphane Gal / Riccardo Rossi / Fynn Holm
Kommentar: Perrine Camus-Joyet

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Im Zentrum der Beiträge stehe die Frage, was mit unserer Konzeption des ‹Alpinen› geschehe, wenn interkontinentale Perspektiven mitbedenkt würden, eröffnete RICCARDO ROSSI (Zürich) das Panel. PERRINE CAMUS-JOYET (Grenoble) ergänzte, dass es das gemeinsame Ziel der Vortragenden sei, die Konstruktion des Alpinen zu hinterfragen. Im Zuge des europäischen Imperialismus seien die mit­tel­europäischen Alpen zu einer Referenzkategorie geworden, an der andere Berge gemessen wur­den. Hier stelle sich die Frage, was eine Region zu einer ‹alpinen› Region mache und auf welchen Netz­werken und Faktoren eine solche ‹Alpinisierung› begründe.
 
Der erste Vortrag von STÉPHANE GAL (Grenoble) zeigte auf, inwiefern die Alpen auch in Europa fremd sein konnten und wie ihre ‹Entdeckung› zur Bildung verschiedener Identitäten beitrug. Gal beleuch­tete am Fall der französischen Alpenexpeditionen im 16. Jahrhundert und an einer ideologischen Stellungnahme des Autoren Jean Menenc aus der Region Haute-Savoie, dass die Alpen nicht nur ei­nen landschaftlichen, sondern auch einen politischen und kulturellen Raum darstellten.

Gal begann mit der Erläuterung der französischen Königsexpeditionen in die italienischen Alpen. Die französischen Könige aus dem Loiretal seien per Definition nicht alpin gewesen. Über ein Einfüh­rungsritual für neue Könige, seien die Alpen aber trotzdem zu einer identitätsstiftenden Kate­gorie für die Monarchen geworden: Begleitet von einem grossen Heer begaben sich neu ernannte Könige auf eine abenteuerliche Reise durch die Alpen. Diese stellten für sie ein exotisches Univer­sum, die steilen Bergwände eine zu bezwingende Sperre dar. Zum einen hätten die Könige auf diesen langen Märschen ihre Macht zur Schau gestellt, zum andern sei damit auch ein erster Krieg gewon­nen wor­den, der Krieg gegen die widrige Bergwelt. Gal unterstrich sein Argument mit Bildern aus der könig­lichen Ikonografie.

Die Alpen seien jedoch auch von lokalen Akteuren als identitätsstiftende Kategorie in Anspruch ge­nommen worden, wie Gal am Beispiel des Savoyarden Jean Menenc aufzeigte, der im Kontext der Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts in einem Text Tal und Berg gegenüberstellte. Laut Gal repräsentierten die Alpen darin den Katholizismus. Menenc hätte hier den Angriff aus dem Tal ange­prangert und die Alpen als Ort der Tugend portraitiert, indem er das einfache und arme Leben der montagnards mit Stolz assoziierte. In diesem Kontext seien Höhe und Vertikalität zum Massstab von Tugend avanciert. Die Alpen hätten im 16. und 17. Jahrhundert verschiedenen Gruppen – den Königen sowie der lokalen Bevölkerung – als Flagge ihres Stolzes und ihrer Tugenden gedient. Gal beendete seine Ausführungen mit dem Ausblick, dass sich die Rolle des Alpinen aber in den darauffolgenden Jahrhunderten wandelte, womit er die Dynamik identitärer Prozesse hervorhob.
 
Im zweiten Vortrag begann Riccardo Rossi mit einem ausführlichen historiographischen Überblick über die zwei wirtschaftshistorischen Forschungsfelder, an denen sich sein Projekt orientiert: zum einen die Literatur, die die alltagsgeschichtlichen Einflüsse interregionalen Handels untersucht, und zum andern die Literatur zur Wirtschaftsgeschichte der Alpen. In seiner Untersuchung richtete Rossi den Blick auf die Seidenindustrie in den Tessiner und norditalienischen Alpen. Im 16. Jahrhun­dert seien in Valtellina und Valchiavenna Seidenindustrien entstanden, die schliesslich alle Produk­tions­schritte organisierten – vom Pflanzen der Maulbeerbäume bis zum Weben der Stoffe.

Rossi betonte, dass bestehende transalpine Handelsrouten eine zentrale Rolle in dieser Entwicklung spielten. Wissen aus China sei von einer breiten Reihe von Akteuren importiert und adaptiert worden, bevor es über Handelsrouten in die Alpen gelangte, wo das Wissen und die Praktiken der Seidenpro­duktion von der lokalen Bevölkerung in ihre Arbeit integriert wurden. Rossi präzisierte am Ende sei­nes Vortrages, die transalpinen Handelsrouten und ihre Verbindungen zu grösseren norditalie­ni­schen Städten der alpinen Seidenindustrie hätten auch insofern als Infrastruktur gedient, dass sie an Mig­ration geknüpfte Geldflüsse ermöglichten. Er nannte das Beispiel einer nach Venedig migrier­ten Tessiner Familie im Süsswarengeschäft, die sich finanziell an der Seidenproduktion beteiligte.
 
Im Anschluss präsentierte FYNN HOLM (Harvard/Zürich) einen dritten Vortrag zur Konstruktion der Japanischen Alpen, einer im Zentrum des Inselstaates gelegenen Bergregion. Holms Präsentation begann mit der Gegenüberstellung zweier aktueller Fotografien: Ein Bild zeigte in Schweizer Trach­ten gekleidete Alphornspieler an der jährlichen Eröffnungsfeier der Japanischen Alpen, das zweite Shinto Priester an derselben Zeremonie, die jeweils im Frühling die Wandersaison einläutet. Holms zielte mit diesem Beispiel auf den überraschenden Befund, dass von diesen zwei Traditionen das Alphornspiel die länger etablierte sei. Holms stellte sich in seiner Untersuchung die Fragen, wie eine japanische Landschaft alpin wurde und welche Konsequenzen aus einer solchen Zuschreibung er­folgen.

Sein zentrales Argument legte Holms gleich zu Beginn dar. Dienten die Alpen im Kontext des euro­päischen Imperialismus als Referenzkategorie für die wissenschaftliche und industrielle Erschlies­sung anderer Bergregionen, so habe sich die Situation in Japan anders gestaltet. Das einzige nicht-europäische ‹moderne› Empire habe mehr agency darüber besessen, wie und welche Ideen es im­por­tierte. Daher seien die Japanischen Alpen nicht als Kopie, sondern als adaptierte Auffassung des Alpinen zu verstehen.

Holms illustrierte dies am Beispiel der Kamikōchi Region. Noch bis 1927 seien diese Berge als unbe­rührte Wildnis beschrieben worden – insofern wahr, dass zur Edo-Zeit keine Siedlungen existierten, aber dahingehend falsch, dass Waldarbeiter in Kamikōchi Holz fällten. In der Meiji-Periode wurden Versuche unternommen, die Berge zu kolonisieren; darunter das Projekt einer Rinderfarm im Schweizer Stil. Dies sei relevant, da diese Kühe die Landschaft mit der Zeit zu verändern begannen und sie visuell den Schweizer Alpenwiesen – da das Alpwirtschaftsmodell imitierend – annäherten.
Als alpine Landschaft wurde Kamikōchi im späten 19. Jahrhundert vom Briten Walter Weston ‹ent­deckt›. Er verbreitete die Idee Japanischer Alpen in Europa genauso wie in Japan selbst. Die an­schliessende Betitelung Nihon Arupusu sei als Akt des japanischen nation building zu lesen.

Japanische Bergsteiger, beobachteten auf Reisen in der Schweiz, wie die Alpen wirtschaftlich ge­nutzt werden. Nach dem Modell von Zermatt und Chamonix wurden in Kamikōchi Resorts gebaut, um den ästhetischen Wert der Berge zu kommerzialisieren. Holms schloss mit der Bemerkung, dass bis heute jährlich über eine Million Touristinnen und Touristen nach Kamikōchi reisen – ein Phänomen, das zunehmend zu einem Umweltproblem werde, da der Tourismus die lokale Biodiversität bedrohe. 
 
Nach einem Kommentar von Perrine Camus-Joyet zu den Beiträgen öffnete sich das Panel für Fra­gen aus dem Publikum. Besonders interessant war Holms Entgegnung auf die Nachfrage, wie denn die Japanischen Alpen vor dieser Zuschreibung genannt wurden: Sie hätten keinen Namen in diesem Sinne gehabt. Jedes Dorf habe die Berge jeweils anders benannt ­– eine Herausforderung für Karto­grafen im 19. Jahrhundert. Betonten alle drei Vorträge die Bedeutung politischer, wissen­schaftlicher und wirtschaftlicher Eliten, war Perrine Camus-Joyets abschliessende Aufforderung sehr relevant, auch die Teilnahme der lokalen Bevölkerungen an diesen Konstruktionen hervorzuhe­ben.
 

 


Panelübersicht:
 
Stéphane Gal: Les Alpes: une identité à l’époque moderne?

Riccardo Rossi: Mountains in the Shape of the Globe: Social and Economic Impacts of Transoce­anic Exchanges on the Southern Valleys of the Three Leagues

Fynn Holm: Creating a Swiss Mountain Valley: The Transformation of the Kamikōchi Valley in the Japanese Alps.


Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 6. Schweizerischen Geschichts
tagen.

Veranstaltung: 
6. Schweizerische Geschichtstage
Organisiert von: 
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte und Université de Genève
Veranstaltungsdatum: 
01.07.2022
Ort: 
Genf
Sprache: 
d
Art des Berichts: 
Conference