Verantwortung: Jeanne Pamer / Johanna Bregenzer
Referierende: Ismail Prada / Martin Dusinberre / Jeanne Pamer / Johanna Bregenzer
Kommentar: Moritz Feichtinger / Tobias Hodel
Sind digitale Projekte im Studium der Geschichte eine Bereicherung? Vor dem Hintergrund des Tagungsthemas „Reichtum“ erstaunte der Titel dieses Panels zu digitalen Vorhaben im Geschichtsstudium nur bedingt. Angesicht der Tatsache, dass digitale Werkzeuge im Studium der Geschichte schon länger eine Realität sind, war der Versuch der Erarbeitung einer ersten Bilanz aber durchaus berechtigt, zumal das Panel, von Studierenden der Universität Zürich organisiert, einer Perspektive Raum bot, die in der bisherigen Diskussion um die digital humanities kaum im Zentrum der Debatte stand. Der weite Begriff „Projekt“ sowie die vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten des Worts „Reichtum“ liessen zu Beginn noch offen, welche Aspekte die drei Referate herausgreifen würden. JEANNE PAMER (Zürich) und JOHANNA BREGENZER (Zürich) machten denn in ihrer kurzen Einführung klar, dass der Schwerpunkt insbesondere auf den Erfahrungen von Studierenden mit digitalen Projekten in der universitären Lehre liegen sollte, aber auch auf den Erwartungen und Anforderungen, die mit den Projekten einhergehen. Mit dieser Fokussierung war die Hoffnung verbunden, fruchtbare Inputs für die Konzipierung oder Weiterentwicklung von aktuellen und zukünftigen digitalen Projekten zu gewinnen.
Den Anfang machte das Ad fontes-Projekt der Universität Zürich, das schon seit Jahren produktiv genutzt wird. ISMAIL PRADA (Zürich) präsentierte die breite Palette dieses Lernangebots, das anhand von Tutorien und interaktiven Übungen etwa in die historischen Hilfswissenschaften, die Archivrecherche oder die Quellenauswertung einführt, aber auch bei Latein-Problemen weiterhilft. Dank seiner mehrjährigen Laufzeit und dem gezielten Einsatz an der Universität, erfreue sich der Dienst einer grossen Bekannt- und Beliebtheit, erklärte Prada. Die ausgewerteten Nutzungszahlen zeigten nicht nur eine rege Verwendung des Tools, sondern auch eindrücklich den im Zusammenhang mit digitalen Werkzeugen oft genannte Vorteil des schwellenlosen Zugangs, sind doch 10% der Zugriffe auf deutsche Transkriptionsübungen aus den USA zu verzeichnen. Als mögliche Stossrichtungen für die zukünftige Weiterentwicklung wurden etwa ein neues Frage-Antwort-Format mit Anlehnung an Social Media-Funktionen angedacht oder ein Vordringen ins Feld der „Gameification“.
Dieser Begriff bereitete den Weg für den Beitrag von MARTIN DUSINBERRE (Zürich) zum Projekt Lives in Transit, dass 2020 live geschaltet werden soll. In diesem interaktiven textbasierten Tool sehen sich Nutzende mit verschiedenen Szenarien aus dem Hochschulumfeld konfrontiert und müssen Strategien entwickeln, um sich darin zu bewegen. Das im thematischen Feld der Globalgeschichte angesiedelte Tool beinhaltet ähnlich wie Ad fontes hilfswissenschaftliche Werkzeuge wie Archivrecherche und Quellenauswertung, bettet diese aber in ein universitäres System ein und fügt somit eine weitere Dimension hinzu: das Üben und Auskundschaften von Strategien im akademischen Forschungsprozess. Gedanken der „gamenden“ Studierenden und die Kommunikation mit (imaginären) Kommilitoninnen und Kommilitonen sowie Betreuungspersonen werden konstant in einem Notebook festgehalten und dienen am Ende der Auswertung. Diese Möglichkeit der Nachvollziehbarkeit des Spiels sei, so Dusinberre, denn auch ein von Nutzenden oft genannter Pluspunkt dieses Tools.
Auf diese zwei konkreten Projekte, präsentiert aus Sicht der Mitentwickler, folgte die Sicht der Nutzenden von digitalen Diensten, die anhand einer im Vorfeld der Geschichtstage durchgeführten Umfrage dargestellt wurde. Jeanne Pamer und Johanna Bregenzer präsentierten in ihrem Beitrag die Auswertung dieser Umfrage, die von 83 Studierenden der Geschichte der Universitäten Basel, Bern und Zürich im Mai 2019 beantwortet worden war. Die Auswertung zeigte, dass die digitalen Tools durchaus bekannt sind, wobei konkrete wie auch generelle digitale Dienste wie „Datenbanken“ genannt worden seien. Die Umfrage zeigte eine hohe Bereitschaft unter den Studierenden, digitale Angebote im Studium zu nutzen. Ob digitale Projekte als Bereicherung des Geschichtsstudiums gesehen werden, konnte zwar nicht endgültig geklärt werden. Die Referentinnen hielten aber fest, dass gerade Tools zur Einübung von wissenschaftlichen Methoden sich einer grossen Nutzung erfreuten, demgegenüber die Gameification mit einer grösseren Skepsis zu kämpfen habe.
Im Hinblick auf eine breite Abschlussdiskussion wurden zwei prägnante Kommentare formuliert.1 MORITZ FEICHTINGER (Zürich) wies dabei auf die primären Ziele des Digital History Labs der Universität Zürich hin, die in der Förderung und Verankerung von digitalen Zugängen der Geschichtswissenschaft in Lehre, Forschung und Vermittlung bestehen. Er plädierte in diesem schnelllebigen Bereich für eine Vernetzung von Akteurinnen und Akteuren mit Institutionen. Auch TOBIAS HODEL (Zürich) betonte die Vernetzung und Interdisziplinarität, die bei der Expansion der Geschichtswissenschaft ins Digitale und der Aneignung neuer Fertigkeiten unausweichlich sei. Gleichzeitig attestierte er dem Begriff „digitale Projekte“ eine gewisse Unschärfe, da er vielfältige Vorstellungen umfasse, und plädierte in diesem Zusammenhang für eine Unterscheidung zwischen digitaler Vermittlung und digitaler Methode.
Das Panel gewährte Einblicke in die aktuelle Lage von digitalen Projekten, die allerdings auf die Universität Zürich beschränkt blieben. Wahrscheinlich hätte der Einbezug einer weiteren Institution, ähnlich wie bei der Umfrage, ein umfassenderes Bild aufgezeigt. Es war aber ein Verdienst des Panels, die Rezeption von digitalen Projekten zu thematisieren und ausgehend von drei verschiedenartigen Referaten eine ergiebige Diskussion zu lancieren. Für Gesprächsstoff sorgte dabei die Art und Weise, wie solche digitale Projekte sinnvoll in das Studium der Geschichte integriert werden können, wobei sich die Perspektive zwangsläufig auch auf die Dozierenden ausweitete, die in besonderem Masse mit diesen Projekten in Berührung kommen. Interdisziplinarität, aber auch strukturelle Reformen wurden angeregt. So wurde etwa der Wandel der starren Lehrveranstaltungen hin zu neuen Kooperationsformaten, etwa in der Form von aus den Naturwissenschaften bekannten LABs, als zielführend bei der Aneignung spezifischer Kompetenzen in konzentrierter Form beurteilt. Ein Wandel wurde auch bei der Form universitärer Leistungsnachweise angesprochen, die immer noch stark textbasiert sind. Eine Auffächerung der Endprodukte auf verschiedenartige Formate war ein Wunsch von Studierenden, Mittelbau und Professoren, insbesondere bei der Befassung mit digitalen Projekten. Die Entwicklung digitaler Tools, keine Kernkompetenz der Geisteswissenschaften, ist gerade auch dann eine Bereicherung, wenn der oft zeitintensive Prozess – auch bei einer scheinbaren Verfehlung der ursprünglich definierten Ziele – einen Nutzen für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Geschichte und Informatik generiert.
Anmerkungen
1 Die Teilnahme von Helena Jaskov entfiel und wurde durch den zusätzlichen Kommentar von Moritz Feichtinger ersetzt.
Panelübersicht
Prada, Ismail: AdFontes – Online Lernprogramm fürs Archiv
Dusinberre, Martin: Lives in Transit: serious gaming in the classroom
Bregenzer, Johanna; Pamer, Jeanne: Die Zukunft mitgestalten: Erfahrungen mit und Erwartungen an digitale Projekte von Studierenden
Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 5. Schweizerischen Geschichtstagen