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Panel: Le pouvoir des algorithmes. Technologies numériques et rapports de force au XXe-XXIe siècles

Autor / Autorin des Berichts: 
Tobias Hodel, Universität Zürich



Zitierweise: Hodel, Tobias: Panel: Le pouvoir des algorithmes. Technologies numériques et rapports de force au XXe-XXIe siècles, infoclio.ch Tagungsberichte, 2016. Online: infoclio.ch, <http://dx.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0116>, Stand:


Verantwortung: Enrico Natale / Christiane Sibille
Referierende: Hannes Mangold / Valérie Schafer / Anna Jobin / Frédéric Kaplan / Stéfanie Prezioso / Olivier Glassey
Kommentar: Nicolas Chachereau

PDF-Version des Berichts

Als eines von zwei Panels – abgesehen von den Flash Präsentationen – befasste sich das Panel „Le Pouvoir des Algorithmes“ dezidiert mit Fragestellungen, die mit und durch die Digitalisierung in das Feld der Geisteswissenschaften eindringen. Organisiert durch den Verein Geschichte und Informatik Schweiz, namentlich CHRISTIANE SIBILLE und ENRICO NATALE, stand nach kurzer Einleitung durch NICOLAS CHACHERAU Digitales aus drei zeitlich nahen, thematisch jedoch disparaten Themen im Fokus.

Chronologisch an erster Stelle standen die Ausführungen von HANNES MANGOLD, der über Aufstieg und Niedergang der Rasterfahndung in der Bundesrepublik Deutschland referierte. Der Wandel von Papiertechnologie zum Rechner führte nicht nur zur Anpassung der Instrumentarien der Kriminalpolizei, sondern gleichzeitig auch zu einem Wandel im Rollenverständnis. Aus dem Menschen, der mit Akten arbeitete, wurde ein Rechnersystem, das für den Menschen Auswertungen und Anweisungen lieferte. Auf kybernetischen Modellen basierende Verräumlichungen von Straftaten führten in den 1960er und 1970er Jahren zu einer ausgesprochen positiven Aufnahme der neuen Möglichkeiten, wobei der daraus entstehende Konformitätsdruck nicht negativ in den Vordergrund gerückt wurde. Erst mit dem Versagen der Technik im Rahmen der Fahndung nach Mitgliedern der Roten Armee Fraktion (RAF) und einer gleichzeitig um sich greifenden Angst vor einem Überwachungsstaat wurden die anfänglich grosszügig erteilten Freiheiten eingeschränkt und stärker kontrolliert. Aufstieg und stärker noch Niedergang der Fortschrittsgläubigkeit lassen sich anhand medialer Berichterstattung und populärkulturellen Erzeugnissen beobachten und dem Diskurs zuordnen. Mit Blick auf den aktuellen Umgang mit grossen Datenmengen brachte Mangold die Hoffnung zum Ausdruck, dass aus der Distanz Auswertungen von Daten zwar rastergleich Erkenntnisse versprechen, aus der Nähe betrachtet und aufgrund der Rasterung jedoch wieder Unschärfen entstehen würden.

Die Geschichte des frühen Internets in Frankreich war Thema des Vortrags von VALERIE SCHAFER. Sie demonstrierte das komplexe Zusammenspiel zwischen Anbietern des Zugangs, frühen Nutzenden und staatlichen Vorschriften. Der Raum, dessen Recht sich noch in Aushandlung befand (und befindet), sowie Fragen der Kontrolle und Deklarationspflichten führten, nachdem sich die Illusion eines selbstregulierenden Cyberspace zerschlagen hatte, zu einigen nicht umsetzbaren Vorschriften. Geprägt wurden solche Vorstellungen durch minitel, dem französischen Vorläufer des Internets, der jedoch aufgrund seiner zentralistischen Organisation einiges einfacher zu kontrollieren war. Als weitere Bruchstelle identifizierte die Forscherin die freien Vorstellungen der Netzgemeinschaft gegenüber frühen Versuchen der Kommerzialisierung des Netzes. Die Gegenüberstellung eines freien bzw. eines kommerziell genutzten Netzes verrät einiges über die damals vorherrschende politische Kultur in Frankreich, die durch das Auftauchen digitaler Chancen aufgebrochen und neu konfiguriert wurde. Insgesamt demonstrierte die Präsentation, dass die Geschichte des Netzes nicht allein aus technischer Perspektive beschreibbar ist, sondern Netzaktivismus ebenso mitberücksichtigt werden muss wie öffentliche Meinungen und juristische Interventionen. Die Nationalisierung der Geschichte des Internets zeigt gleichzeitig, dass die gewonnenen Aussagen weit über technische Folgerungen hinausweisen.

Anschliessend nahm ANNA JOBIN Bezug auf die filter bubble, wobei sie auf die Autovervollständigung im Suchalgorithmus Googles fokussierte. Damit erhofft sie und das gesamte Projektteam, das sich neben ihr aus FREDERIC KAPLAN, OLIVIER GLASSEY und STEPHANIE PREZIOSO konstituiert, Aufschlüsse zur Formung des kollektiven Gedächtnisses durch automatisierte Vervollständigung von Suchanfragen. Konkret wurde während eines Zeitraums von fünf Monaten die Suchmaschine auf Reaktionen zu Anfragen zum Themenkomplex „Erster Weltkrieg“ beobachtet. Die Resultate zeigen ein ausgesprochen leistungs- und lernfähiges System auf Seiten der Suchmaschine, das jedoch punktuell Anfragen von Nutzenden selbst ergänzt und komplettiert, sodass unsinnige Vorschläge nicht nur aufgenommen sondern an zentraler Stelle auch verstetigt werden, so etwa der Vorschlag "Dritter Weltkrieg“ oder die Zahl 78, die sich aus einem Missverständnis des französischen "14-18" ergibt. Da die Autovervollständigung je nach Cursorposition nicht nur als Vorschlag sondern ohne Klick direkt in die Anzeige der Resultate mündet, ist die Suchmaschine mehr als nur Schnittstelle zwischen User und Suchresultaten, sondern Ort der Produktion von (Geschichts-)Bewusstsein. Dabei spielt es aus epistemologischer Sicht gesehen keine Rolle – wie Jobin herausstrich –, ob ein Ereignis bereits geschah, zukünftig geschehen könnte oder gar fiktiv ist. Als einzige der drei Vortragenden im Panel nutzte sie Formen der digitalen Geisteswissenschaften und arbeitete mit quantifizierenden Visualisierungen, die auf den Auswertungen basieren.

Alle drei Vorträge bestachen durch die Themensetzung, die Neuartigkeit der Fragestellungen sowie kreativen Methodeneinsatz. Dennoch fehlte dem Panel eine Kohärenz oder ein einheitliches Erkenntnisinteresse, das einen tiefergehenden Dialog zwischen den Panelisten und dem zahlreich erschienenen Publikum eröffnet hätte. Die Beiträge boten dennoch Anlass, vielfältige Ansätze zu Fragen der Digitalisierung, des Datenschutzes oder der Pfadabhängigkeiten, die durch Suchmaschinen ausgelöst werden, in ihrer historischen Tiefe auszuloten. Für die Schweizer Geschichtswissenschaft bleibt zu hoffen, wie von Guido Koller schon im Vorfeld angemahnt (Digital History delayed), dass an den nächsten Geschichtstagen in drei Jahren mehr als zwei Panel diesen zentralen Fragen und Methoden gewidmet sein werden.

Selbstdeklaration: Der Autor dieses Panelberichts ist Mitglied von Geschichte und Informatik Schweiz.



Panelübersicht:

Mangold, Hannes: Rasterfahndung, oder: Die algorithmische Suche nach Sicherheit

Schafer, Valérie: Enjeux et controverses autour du pouvoir des intermédiaires (France, années 1990)

Jobin, Anna; Kaplan, Frédéric; Prezioso, Stéfanie; Glassey Olivier: La mémoire kaléidoscopique: l’histoire au prisme des algorithmes d'autocomplétion

Manifestazione: 
4. Schweizerische Geschichtstage
Organizzato da: 
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte und Université de Lausanne
Data della manifestazione: 
09.06.2016
Luogo: 
Lausanne
Lingua: 
d
Report type: 
Conference