Verantwortung: Enrico Natale
Referentinnen: Patrick Kammerer / Christophe Koller / Christof Meigen / Lukas Rosenthaler / Tobias Schweizer / Christiane Sibille / Ivan Subotic / Jens Weber / Andreas Wolter
Twitter: #SGT13
ENRICO NATALE[1] eröffnet das Panel mit der Vorstellung des Vereins 'Geschichte und Informatik', der DH Summer School Bern 2013 und dem Hinweis auf Douglas C. Engelbart, welcher schon 1968 Prototypen einer Maus, eines Network Environment, eines Graphical User interfaces und des Hypertextes präsentierte.
CHRISTIANE SIBILLE (vor Ort) und CHRISTOF MEIGEN (via Skype) präsentierten das Projekt LONSEA, welches die Visualisierung der Netzwerke von Diplomaten in internationalen Organisationen in der Zwischenkriegszeit verfolgt. Dazu werden verschiedene Analyseprogramme (R, Neo4j, Google Motion Charts, Gephi, HivePlot, Geovisualisierung, ClusterMap, google-earth, Force Directed Layout, Ubigraph) zur graphischen Darstellung verwendet. Diese Tools erlauben Interaktion, Nachhaken, Zusammenfassen und Analysieren. Verbunden werden Ort, Zeit, Person und Mitgliedschaften (Organisation). Durch das Aufschlüsseln der Netzwerke sollen neue Forschungsfelder und -fragen zum Vorschein kommen. Die Visualisierung hilft einerseits, Netzwerke zu erkennen, aber auch Fehler zu bereinigen und neue Verbindungen zu knüpfen. Dabei muss die Visualisierung stets mit den Datensätzen verknüpft sein. In der Zukunft stellen sich Sibille und Meigen die Anbindung an Blender und eine dynamischere Visualisierung vor, was die Live-Änderung von Visualisierungsparametern und Datengrundlagen erlauben würde sowie die Navigation, Manipulation und das Einblenden von Information mit Leap (Gestensteuerung – zum ersten Mal live getestet). Als Fazit sehen Sibille und Meigen einerseits die Notwendigkeit, Tools zu etablieren,
die von allen Historikern genutzt werden können, und andererseits, dass die Erfahrbarkeit des Netzwerkes intuitiv werden muss.
In der Diskussion antwortet Christiane Sibille auf die Frage, was denn der Mehrwert sein soll, dass sie einen Service bereitstellen, in welchem Historiker den Umgang mit Visualisierungen erlernen können, und um neue Wege zu finden, 'Zweitligadiplomaten' zu identifizieren. Zudem ist für Sibille und Meigen wichtig, dass die Datengrundlage stets ergänzt und durch die Anbindung externer Datenbanken erweitert wird.
'Das visuelle interaktive Modell als Instrument der Erkenntnis – Moderne Visualisierungsstrategien am Beispiel des Projekts "ImpulsBauhaus" wurde durch ANDREAS WOLTER und JENS WEBER vorgestellt. Beide haben keinen historischen Hintergrund, sondern interessieren sich für die Visualisierung von Objekten. Mit einem kurzen Film wurde das Projekt vorgestellt: Ziel ist das gesamte Netzwerk der Bauhaus-Bewegung darzustellen, inklusive biographischen und geographischen Verknüpfungen. Wolter und Weber erarbeiteten eine neue, webbasierte Forschungsplattform, um möglichst viele Partizipienten einbinden zu können. Verknüpft wurden Personen, Werke, Organisationen und Ereignisse (aller Art). Mit dieser Plattform können Zeitangaben visualisiert und Orte mit Geodaten verlinkt und dargestellt werden.
Das Projekt wurde an einer Ausstellung zur Bauhaus-Bewegung präsentiert. In einem Kubus konnten die Besucher interaktiv das Netzwerk der Mitglieder dieser Bewegung erfahren und auch Einsicht in den Datenbestand nehmen (Chronik, Biographien). Wichtig ist den Referenten, dass die Informationsvermittlung so einfach wie möglich ist. Eine Visualisierung in 3D wird komplexer erfahrbar, wird aber getestet. Weiterführend sehen sie ein Projekt, das die Topographie der Gelehrtenrepublik darstellt: Anhand des Briefwechsels unter den Gelehrten könnte untersucht werden, wie Ideen entstehen.
In der Diskussion wird aufgeworfen, dass die Visualisierung nur ein nettes 'Gadget' ist. Die Referenten antworten, dass die Datenbasis gesichert werden muss und dass eine Visualisierung immer kritisierbar ist – aber, wie Sibille und Meigen erwähnten, Fehler und neue Verbindungen sichtbar machen können.
CHRISTOPHE KOLLER sprach zum Thema 'Cartographie statistique interactive: Potentiels et limites pour les historiens'. Mit einem Verweis auf Herodot, Braudel und Napoleon erläuterte er das Ziel von Karten: die Reduktion auf die wichtigsten Informationen. Die Herausforderung an die digitale Form von Karten ist nun, wie die Informationen vermittelt werden sollen und Koller spricht sich klar für die Verwendung von Standards aus. Geklärt werden muss zuerst, welche Datenerhebungen zu Grunde gelegt werden: lokale, regionale, nationale und mit welchen Parametern die Daten erarbeitet wurden. Hier liegen die grössten Herausforderungen, weil sich die Art der Datenerhebung ständig veränderte. Historisch topographische Karten können ein-, zwei- oder mehrdimensional aufgebaut werden, es muss aber ersichtlich sein, welche Parameter für die Generierung der spezifischen Karte verwendet wurden. Für die Schweiz existiert ein grosser statistischer Datenbestand[2], welcher dynamisch und interaktiv präsentiert werden soll.
Zur 'Visualisierung von kollaborativ erstellten Annotationen und Verknüpfungen in SALSAH sprach LUKAS ROSENTHALER. Er unterstrich, dass Forschungsdaten als Vernetzung von Objekten angesehen und dass Objekte als Manifestationen, welche für Historiker interessant sind, definiert werden sollen. SALSAH stellt Objekte und deren Verknüpfungen in einer Windows-Ansicht unter Verwendung von Standard-Webtechnologien dar. Das Ziel der Visualisierung ist das Erkennen von gemeinsamen Bezügen ohne direkten Bezug, ein interaktives Explorieren mit Detailansicht ausgewählter Objekte. Noch sind jedoch nur die unmittelbaren Nachbarn sichtbar, eine interaktive und dynamische Visualisierung steht noch aus.
Zum Schluss des Panels referierte PATRICK KAMMERER zum Thema 'Visualization at your Fingertips – Instantane Datenvisualisierung am Beispiel des Google Ngram Viewers'. Wurden Statistiken früher noch von Hand auf Millimeterpapier gezeichnet und publiziert, ist dies heute mit entsprechender Software viel einfacher geworden. Ngram Viewer benutzt einen linguistischen Auszählalgorithmus, welcher die im Suchindex enthaltenen Publikationen nach den gesuchten Phrasen durchsucht und graphisch nach Publikationsjahr darstellt. Problematisch dabei ist, dass keine Grundgesamtheit, sondern nur ein Index verwendet wird und dass kaum Informationen und Metadaten vorhanden sind, welche den Aufbau des Graphen erklären. Als Gegenbeispiel verweist Kammerer auf Marie Neurath, Otto Neurath und Paul Otlet, welche im 1929 erschienenen 'Atlas der Kenntnisse der modernen Welt' einerseits Ikonentypen zur Visualisierung von statistischen Daten verwendeten und andererseits viele Metadaten zur Erklärung der Graphen erstellt hatten.
Die Diskussion wurde aus Zeitgründen in den virtuellen Raum verlegt.
Es scheint, dass den Historikern mittlerweile einige Tools zur Visualisierung zur Verfügung stehen, dass sie sich aber (noch) beträchtliches Know-How aneignen müssen, um diese selbständig zu nutzen. Zudem besteht bei webbasierten dynamischen Visualisierungen das Problem der Nachvollziehbarkeit – es ist fraglich, ob das Tool in mehreren Jahren in dieser Art noch zur Verfügung steht.
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[1] Geschäftsführer von infoclio.ch
[2] Historische Statistik der Schweiz. Unter der Leitung von Hansjörg Siegenthaler, hrsg. von Heiner Ritzmann-Blickenstorfer. Chronos-Verlag, Zürich 1996.
Christiane Sibille / Meigen Christof: A whole new dimension: Using Game engines to work with large graphs in 3D
Jens Weber / Andreas Wolter: Das visuelle interaktive Modell als Instrument der Erkenntnis - Moderne Visualisierungsstrategien am Beispiel des Projekts „ImpulsBauhaus“
Christophe Koller: Cartographie statistique interactive: Potentiels et limites pour les historiens
Lukas Rosenthaler / Tobias Schweizer / Subotic Ivan: Visualisierung von kollaborativ erstellten Annotationen und Verknüpfungen in SALSAH
Patrick Kammerer: Visualization at your Fingertips – Instantane Datenvisualisierung am Beispiel des Google Ngram Viewers