Verantwortung: Christof Dejung
Referierende: Nadine Heé / Ines Prodöhl / Moritz von Brescius
Geschichtlich betrachtet sei der Zusammenhang zwischen Ressourcen und Reichtum komplex und oft widersprüchlich, eröffnete CHRISTOF DEJUNG (Bern) das Panel: Über Ressourcen zu verfügen mache nicht automatisch reich – vielmehr seien sie integraler Bestandteil von politischen Machtkämpfen und Ungleichheiten, oft auch die Ursache von Kriegen und eben auch Grundlage dafür, dass Kriege überhaupt geführt werden. Die dahinterliegenden Prozesse zu betrachten sei Ziel des Panels. Dabei gelte es, im Kontext von Verwertungszusammenhängen, transnationalen Handelsbeziehungen und -systemen zu bestimmen, was eine Ressource ist. Der zeitliche Fokus liege auf Charles Maiers «Territorialem Zeitalter» (c. 1860-1970), das reflektiert und mit Ressourcenzeiträumen kontrastiert werden solle. In der Folge referierten die Panelistinnen und der Panelist über Thunfisch, Fett und Gummi. Gemeinsam war ihnen dabei ein Interesse an imperialen Zusammenhängen und transnationalen Verflechtungen.
NADIN HEÉ (Berlin) beleuchtete Japans Rolle im Thunfischfang vor dem Hintergrund der völkerrechtlichen Territorialisierung der Meere während des Kalten Kriegs bis zur Etablierung der 200-Seemeilen-Zone 1982, in deren Folge der «Wasserraum [seine] geschichtliche Qualität» (Koselleck) verändert habe. Heé argumentierte, dass sich Maiers territoriales Ordnungsmuster (1860-1970) dahingehend chronologisch erweitern liesse. Gleichzeitig ergründete sie die Formierung der japanischen Vormachstellung im Thunfischfang; denn die politische Ökonomie, die den heutigen globalen Thunfischfang präge, habe imperiale Wurzeln.
Zunächst untersuchte Heé den Pazifikkrieg als «Thunfischkrieg». Japan war bis 1930 zur weltweit größten Fischereimacht avanciert und baute seine Pazifikflotte nicht zuletzt zur Ernährung der Armee massiv aus – in diesem Sinne, ergänzte Heé später in der Diskussion, könne Thunfisch durchaus als strategische Ressource betrachtet werden. Auch war der Export von Thunfisch – etwa in den von der Depression gezeichneten amerikanischen Markt, wogegen sich die USA mit Zöllen zu wehren versuchte – zentral für die japanische imperiale Wirtschaft. So wurde intensiv geforscht und Wissen etwa zu neuen Fischfangtechniken generiert. Auf diesem Wissensvorsprung fusste gemäß Heé denn auch die japanische maritime Vormachtstellung. Mit dem Pazifikkrieg begannen aber auch die USA, systematische Forschung im Thunfischfang zu betreiben. Zentral war in diesem Zusammenhang die Politik der japanischen Regierung, Arbeiterinnen und Arbeiter zum Siedeln in die Welt zu schicken, da manche just auf den nordamerikanischen Kontinent übersiedelten. So, meinte Heé, revolutionierten migrierte japanische Fischer den amerikanischen Thunfischfang.
In der Zeit des Kalten Kriegs sah Japan seine wichtigsten Fanggründe bedroht – einerseits durch die verstärkte Konkurrenz von den USA und ostasiatischen Staaten wie Taiwan, die nun vom Wissen profitierten, das japanische Arbeitsmigrantinnen und -migranten in den Dekaden zuvor auch in den pazifischen Raum exportiert hatten; andererseits durch die sich dekolonisierenden pazifischen Inselstaaten, die nun eigenes maritimes Territorium beanspruchten. Auch die japanischen Staatsausgaben für die Fischerei stiegen enorm an. Als schliesslich 1982 die Wirtschaftszonen festgelegt wurden, reagierten viele Medien und öffentliche Personen mit einem kulturalistischen, national(istisch)en Narrativ, das imperiale Zusammenhänge und Verflechtungen wie jene mit den USA negierte. Stattdessen wurde eine historische nationale Bedeutung des Thunfischfangs propagiert und zelebriert. Insofern, schloss Heé ihr Referat, sei in Japan der Thunfisch nicht nur ökonomische Ressource, sondern auch symbolisches Kapital.
INES PRODÖHL (Bergen) skizzierte ihr Forschungsvorhaben zur Rolle von Fett im Ersten Weltkrieg. Sie stellte die Frage, ob Fett damals für kriegsführende Länder eine strategische Ressource gewesen sei: Im Krieg waren organische Fette zwar vor allem als Nahrungsmittel gefragt, als Grundstoff für kriegsrelevante chemisch-industrielle Produkte wie Seife, Kerzen, Dynamit, Maschinenschmierstoff oder Imprägniermittel für Stoffe, aber auch als Kriegsmaterial. Viele dieser Verwendungsarten waren erst mit dem wirtschaftlichen und technologischen Schub im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts möglich geworden – insofern, meinte Prodöhl, sei Fett der Schmierstoff der Moderne gewesen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Untersuchung der globalen Verflechtungen; alle kriegsführenden Länder waren abhängig vom Import von fetthaltigen Rohstoffen. Prodöhl formulierte deswegen auch die Erkenntnisabsicht, die Auswirkungen des Weltkriegs auf diese Handelsbeziehungen bzw. das Ausmass von deren Stagnation in Europa und den (meist kolonialisierten) Herkunftsländern zu ergründen. Sie skizzierte, dass zwar die kriegsführenden Länder einen offensichtlichen Mangel an Fetten hatten und dass gerade der Erste Weltkrieg eine gesteigerte Nachfrage danach mit sich brachte, die kolonialisierten Exportländer aber oftmals unter Absatzproblemen litten, etwa wegen des begrenzten Schiffraums. Sie beabsichtigt darzulegen, dass Abhängigkeiten von globalen Rohstoffen für ganz verschiedene Endprodukte schon vor dem Ersten Weltkrieg existierten, und damit Verbindungen zwischen unserem heutigen Konsum und dessen Ursprung aufzuzeigen. Charles Maiers Konzept der Territorialisierung, die um den Ersten Weltkrieg eine Hochphase erlebt habe, begreift Prodöhl als den Kontext, in dem zu untersuchen sei, wo die fetthaltigen Rohstoffe konkret herkamen, wie sie sich in territoriale Machtverhältnisse einbetteten und wie sich dort Zölle und Grenzbestimmungen auswirkten.
MORITZ VON BRESCIUS (Bern) sprach in seinem Beitrag vom «synthetischen Zeitalter». Es handelt sich hierbei zwar um einen Quellenbegriff aus der journalistischen und wissenschaftlichen Literatur der 1920er Jahre, von Brescius beabsichtigt aber, ihn anhand einer exemplarischen Studie über Gummi als analytischen Begriff und damit alternative Periodisierung zu Maiers territorialem Zeitalter zu testen. Dabei will er untersuchen, wie sich ab 1840 bis c. 1939 die Mikroebene des Labors auf die Makroebene des Ressourcenimperialismus auswirkte. Gummi bietet sich als Untersuchungsmaterial an, weil sich im betrachteten Zeitraum kein anderer Rohstoff so explosionsartig verbreitet hatte wie Kautschuk zwischen 1900 und 1919, dessen Produktion sich in dieser Zeit von natürlichen Urwaldbeständen zunehmend auf Plantagen in Asien verschoben hatte. In dieser Zeit brachten eine populärwissenschaftliche Faszination und die damit verbundene werbetechnische Ausschlachtung von Synthesestoffen Zukunftsvorstellungen einer synthetisierten Welt auf. Gleichzeitig produzierte die «synthetische Revolution», die aus den Laboren europäischer und amerikanischer Forschender heraus zur Desintegration von Märkten führte und internationale Ressourcen- und Arbeitsregime verschob, von Beginn an Gewinner und Verlierer; nicht nur im globalen Süden, sondern auch innerhalb Europas. Vor diesem Hintergrund schlägt von Brescius vor, dass die «synthetische Revolution» eine «disquiet utopia» gewesen sei.
Die Zukunftsvorstellungen, die die synthetische Revolution mit sich brachte, stellt von Brescius den tatsächlichen historischen Entwicklungen gegenüber. So wurde die Vorstellung einer «vollsynthetischen Wohlstandsutopie» nie Realität, brachte vielmehr kulturelle Gegenreaktionen wie das Arts and Crafts Movement hervor. Auch das zweite grosse Versprechen des synthetischen Zeitalters, der Ausweg aus den Ressourcenkriegen, blieb eine pazifistische Fantasie – und paradoxerweise erhofften sich andere Kräfte von der Synthetisierung Autarkie in Kriegszeiten. Auch Vorstellungen von einer Überwindung ausbeuterischer und brutaler kolonialer Beschaffungsmodi verkehrten sich realiter ins Gegenteil: Durch die Pestizide, die die Synthetisierung auch hervorbrachte, verbreitete sich die Kautschukgewinnung in Plantagenkolonien entlang des tropischen Gürtels gar.
In der anschliessenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, wonach man in der Ressourcengeschichte eigentlich suche. Tatsächlich, meinte Ines Prodöhl, sei das ein methodisches Problem: So finde sich Fett in den Statistiken nicht als Rohstoff, sondern nur in verarbeiteter Form – trotzdem sei es wegen seiner grossen Bedeutung zentral, über dieses Produkt nachzudenken. Nadin Heé ergänzte, dass Commodity Chains nur ein Aspekt ihrer Forschung seien, die insbesondere auch eine umwelthistorische und wissens- und diskursgeschichtliche Dimension aufweise – im Zentrum stehe die Arbeitsmigration infolge der Bewegung der Fische. Moritz von Brescius führte an, dass er angesichts der erstaunlichen Bandbreite von Kunstgummi auch andere Materialen betrachte und frage, wie sie etwa während des Kautschukmangels im Weltkrieg vermarktet worden seien; insofern breche er mit den Commodity Chains.
Aus allen Vorträgen ging hervor, dass die drei Rohstoffe in den betrachteten Zeiträumen noch sehr wenig beleuchtet sind. Dabei bietet sich ein ressourcengeschichtlicher Ansatz gerade für globalgeschichtliche Arbeiten an – zum einen, weil Ressourcenzeiten und -räume interessante methodische Alternativen bieten zu Konzepten wie etwa jenem von Charles Maier. Zum andern, weil er sich zur Verknüpfung von Mikro- und Makroebene anbietet, wie dies Moritz von Brescius angemerkt hatte, was eine Betrachtung ausserhalb der kolonialen Dichotomie von West versus the rest möglich macht.
Panelübersicht:
Heé, Nadin: Thunfisch im „territorialen Zeitalter“. Die politische Ökonomie eines transimperialen Ozean-Regimes
Prodöhl, Ines: Schmierstoff der Moderne. Der Rohstoff Fett im Ersten Weltkrieg
Von Brescius, Moritz: Gummi im „synthetischen Zeitalter“. Wissenschaft und die Modifikation der Natur in autoritären Regimes
Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 5. Schweizerischen Geschichtstagen