Verantwortung: Martin Stuber
Referierende: Lisa Cronjäger / Richard Hölzl
Kommentar: Moritz von Brescius
Forstwirtschaftlich genutzte Wälder können nicht nur der «Natur», sondern aufgrund ihrer Nutzungsgeschichte auch der «Kultur» zugeordnet werden. Das Konzept der Nachhaltigkeit bilde dabei das Herzstück der Forstkultur, so MARTIN STUBER (Bern) in der Einleitung ins Panel. Er bezog sich auf den Schweizer «Nachhaltigkeitspionier» Karl Kasthofer (1777-1853), der bereits 1818 festgehalten habe, dass ein Wald dann nachhaltig genutzt werde, wenn jährlich darin nicht mehr Holz gefällt werde als die Natur erzeuge. Wälder wurden als Teil der Allmende kollektiv reguliert und sollten die nutzungsberechtigten Haushalte versorgen, führte Stuber weiter aus und gab einen Überblick über die sogenannte Ökonomische Aufklärung: Im Zuge dieser Aufklärung, die sich zwischen 1750 und 1850 in Europa entfaltete, sollte mit politischen und administrativen Reformen sowie mithilfe von Wissenschaft und Technik eine Ertragssteigerung der Ressourcen eines Territoriums erzeugt werden. Ziel war dabei auch eine optimierte und nachhaltige Holzproduktion. Mittels Planungsverfahren sollte sichergestellt werden, dass jährlich nicht mehr Holz genutzt wurde als nachwuchs. Dazu wurde der Zustand des Waldes mithilfe von Karten, Tabellen und Berichten analysiert, um so die zukünftige Waldbehandlung planen zu können. Im Vordergrund der Waldnutzung stand nicht mehr die Naturalversorgung, sondern der maximale finanzielle Ertrag. Ziel des Panels sei es, so Stuber schliesslich, solche historischen Formen der Nachhaltigkeit in Bezug zu setzen zu heute anstehenden Transformationen.
LISA CRONJÄGERs (Basel) Beitrag behandelte das Verfahren der Forsttaxation (auch als Forsteinrichtung bezeichnet) im Hinblick auf die Nachhaltigkeit. Mittels Forsttaxationskarten der Winterthurer Stadtwaldungen aus dem 19. Jahrhundert zeigte Cronjäger auf, wie die Forstwissenschaftler sich einen Überblick über den Waldzustand zu verschaffen versuchten, um sicherstellen zu können, dass ein Ausgleich zwischen den gefällten und den neu gepflanzten Bäumen stattfand und so die Holzbestände langfristig nicht abnahmen.1 Zu diesem Zweck kombinierten sie Beschreibungen zur Lage des Waldes, der Bodenqualität und der klimatischen Verhältnisse mit detailliertem Kartenmaterial und Holzertragstabellen. Cronjäger betonte, das Verfahren der Forsttaxation und das Zeichnen der Karten sei um die Mitte des 19. Jahrhunderts europaweit praktiziert und an Hochschulen gelehrt worden. Eine wichtige Ausbildungsstätte war dabei die Forstakademie in Tharandt.
Die Referentin erläuterte weiter, dass in dieser Zeit die forstwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsvorstellungen mit dem Streben nach einer Ertragssteigerung zusammenhingen. Zudem erschienen auf den Forsteinrichtungskarten Hochwälder mit nur einer Baumart und einer Altersklasse erstrebenswert, um so nachhaltige Holzerträge zu erzielen. Gemischte Wälder hingegen waren nur selten auf den Forsteinrichtungskarten vertreten. Gefördert wurde folglich die Transformation von gemischten Wäldern zu Monokulturen, von denen man sich berechenbare Holzerträge erhoffte. Diese Idealvorstellung der nachhaltigen Monokulturen könne man anhand vieler Beispiele diskutieren, so Cronjäger.
RICHARD HÖLZL (Göttingen) interessierte sich im zweiten Beitrag dafür, wie die Forstschriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts über Raumgrenzen hinweg dachten, um nachhaltige Wälder zu etablieren. Er präsentierte die These, dass das Nachhaltigkeitskonzept bereits früh nicht nur als kleinräumiges Konzept gedacht wurde, sondern imperiale und globale Verflechtungen von Bedeutung waren.
Die erste Erwähnung von Nachhaltigkeit im Forstwesen verortete Hölzl bei Hans Carl von Carlowitz (1645-1714), dem sächsischen Oberbergbaumeister und Forstinspektor, der sich in seinem Werk «Anleitung zur Wilden Baumzucht» von 1713 eine nachhaltige Nutzung vorstellte, bei der Pflanzen aus anderen Weltteilen nach Europa gebracht würden, um das Problem des Holzmangels zu lösen. Diese gebietsfremden Pflanzen waren nach Carlowitz’ Auffassung auch besser geeignet für eine nachhaltige Nutzung als die heimischen Pflanzen. Hierbei habe es sich jedoch eher um «frühe global-imperiale Imaginarien» gehandelt, so Hölzl, als um eine materielle Umsetzung dieser Ideen.
Für das Ende des 18. und besonders das 19. Jahrhundert machte Hölzl dann eine Verschiebung aus: Statt blossem Imaginieren standen nun das Transferieren von und Experimentieren mit Pflanzen im Vordergrund. Die Grundidee sei dabei gewesen, die heimische Pflanzenwelt mit fremden Arten anzureichern und für schwierige Standorte besser angepasste Pflanzen zu finden. Dafür wurden Versuche in Botanischen Gärten mit verschiedenen auswärtigen Holzarten durchgeführt, unter anderem von Friedrich Casimir Medicus (1736-1808), und auch die von der aus Schottland stammenden Familie Booth gegründete Baumschule in Hamburg wandelte sich zum umfassenden Wissensapparat.
In den 1850er bis 1870er Jahren verbreitete sich das Konzept der Akklimatisierung, wonach Pflanzen und Tiere global transferiert werden könnten. Ein Vertreter dieser These, Ferdinand von Müller (1825-1896), der zum Direktor des Royal Botanical Gardens in Melbourne ernannt wurde, plädierte etwa dafür, dass Eukalyptus-Bäume auf dem ganzen Globus angepflanzt werden sollten, um so den Holzbedarf zu decken – eine These, die grosse Beachtung fand.
Hölzl stellte eine Reihe von Beispielen vor, in denen Nachhaltigkeitsproblematiken durch Pflanzentransfers gelöst werden sollten. Globale Vernetzungen und Verflechtungen würden Nachhaltigkeit garantieren, so die gemeinsame Auffassung in allen Beispielen. Der Referent fragte deshalb am Ende seiner Präsentation, ob heutige Nachhaltigkeitskonzeptionen nicht weiter gefasst und transnationale Verflechtungen nicht stärker gewichtet werden sollten, so wie sie bereits früher gedacht wurden.
Der Kommentar von MORITZ VON BRESCIUS (Harvard) – aufgrund seiner Abwesenheit vorgelesen von Martin Stuber – fragte, gegen welche Historiographie Lisa Cronjäger denn anschreibe. Sie stelle sich gegen ein Verständnis von Nachhaltigkeit, das nicht reflektiere, wer denn vom Ressourcenausgleich profitieren könne und in welcher Weise, so die Antwort der Referentin. Auf den Vortrag von Richard Hölzl bezogen merkte von Brescius an, dass bestimmt auch innereuropäische Vergleiche spannende Einsichten bieten würden. Er verwies zudem auf die Thesen des Umwelthistorikers Richard Grove, wonach das moderne Umweltbewusstsein vor dem 19. Jahrhundert im Zuge der europäischen Expansion entstand.
Die Beiträge lieferten anschauliche quellenbasierte Beispiele für eine Geschichte der forstlichen Nachhaltigkeit und zeigten, dass der Bestand der Wälder und des Holzes die Menschen im 18. und 19. Jahrhundert zu kreativen Lösungsansätzen anregten, die auch heute als Inspirationsquelle dienen könnten.
1 Für die Winterthurer Stadtwaldungen wurde eine sogenannte Umtriebszeit von 100 Jahren angestrebt, was bedeutete, dass in diesem Zeitraum alle Parzellen einmal gefällt und neu aufgeforstet werden sollten. Dadurch sollten Hochwälder eingerichtet werden.
Lisa Cronjäger: Zwischen Nachhaltigkeit und Frevel. Forsteinrichtungskarten des 18. und 19. Jahrhunderts
Richard Hölzl: Europäische Forste und transregionale Verflechtung: Akklimatisierungsversuche, Wissenszirkulation und die Nachhaltigkeitsidee des 18. und 19. Jahrhunderts
David Vollmuth: Die Abschaffung der Mittelwaldwirtschaft – Das Ende einer Waldnutzungsform im Kontext der Ökonomischen Aufklärung (ausgefallen)
Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 6. Schweizerischen Geschichts
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