Le portail suisse pour les sciences historiques

Panelbericht: Der Reichtum der Universitäten

Autor / Autorin des Berichts: 
Pamela Beltrame
pamela.beltrame@uzh.ch
Universität Zürich

Citation: Beltrame Pamela: « Panelbericht: Der Reichtum der Universitäten », infoclio.ch comptes rendus, 08.07.2019. En ligne: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0197>, consulté le 08.11.2024.
Verantwortung: Stefan Wiederkehr
Referierende: Felix Krämer, Björn Möller, Stefan Wiederkehr
Kommentar: Maximilian Schuh


PDF-Version des Berichts

Phrasen wie „Bildung ist unser Rohstoff“ und „Universitäten sind reich an hellen Köpfen und Ideen“ sind omnipräsent in Politik, Medien und universitären Festansprachen. Wie STEEFAN WIEDERKEHR (Zürich) in der Einführung zum Panel betont, wird den Universitäten zwar im Hinblick auf ihr Förderungspotential für die Gesellschaft und Wissenschaft öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt, die Institutionen selbst wie auch ihr „Reichtum“ sind bislang jedoch wenig erforscht worden. Diese Forschungslücke will das Panel schliessen helfen, in dem es sich folgenden Fragen widmet: Kann die Bildungsverschuldung in den USA als freiwillig betrachten werden? Wie hat sich die Hochschulfinanzierung in Relation zu den stetig steigenden Studierendenzahlen in der Bundesrepublik Deutschland verändert? Sind universitäre Sammlungen versteckte Schätze oder eine Belastung? Diese Fragen sollen anhand von Beiträgen, welche die materiellen Grundlagen sowie unterschiedlichen Manifestationen von Reichtum moderner Universitäten aus drei unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, beantwortet werden.

FELIX KRÄMER (Erfurt) zufolge haben sich die Studienschulden zum „Gespenst des Reichtums der US-amerikanischen Universitäten“ entwickelt. Von der „G.I. Bill“ von 1944, die Bildungsstipendien für Veteranen des 2. Weltkriegs vorsah, über „Sallie Mae“, einer staatlichen Initiative von 1973 zur Förderung und Absicherung von Studienkrediten, bis zur neokonservativen Reduktion föderaler Stipendiensysteme unter Ronald Reagan – immer wurde die Debatte um Investitionen in Humankapital von politischen Debatten um Kredit(de)regulierung begleitet. Krämer zeigt anhand der Genese der Studienfinanzierungsprogramme in den USA die Entstehung einer finanzialisierten Bildungslandschaft, in welcher sich der Kredit als wichtigstes soziopolitisches Instrument herausgebildet hat. Bildung sei somit zu einem nicht geringen Aspekt einer Schuldenökonomie geworden, die vor allem im Nachklang der Finanzkrise 2008 immer stärker kritisiert wird. Für Krämer wirft die Kapitalisierung der Bildungsinvestitionen auch Fragen hinsichtlich ihrer Freiwilligkeit auf. Kann in Anbetracht dessen, dass die Universitäten als zentrale Säulen der Wissensgesellschaft gelten und der Antrieb, die eigene Zukunft zu gestalten und zu optimieren, automatisch mit Schulden einhergeht, Bildungsverschuldung überhaupt als „freiwillige“ Zukunftsinvestition betrachtet werden? Krämer zitiert dazu die Interviewaussage eines Historikers aus den USA, der auf seine eigene Bildungsverschuldung und die darauffolgenden Jahre in prekärer finanzieller Situation zurückblickt: „It’s the price of freedom, but in the end, the price was too high.“

BJÖRN MÖLLER (Hannover) stellt seine Studie zum Strukturwandel der Hochschulfinanzierung in Deutschland vor. Der politisch erwünschte Studierendenzuwachs um 39 % zwischen 2006 und 2015 sei nicht mit einer entsprechenden finanziellen Ausstattung der Hochschulen einhergegangen (23 %). Möllers Studie untersucht vor diesem Hintergrund die Strukturierung und Entwicklung der finanziellen Mittel, die den Universitäten zur Verfügung stehen. Dazu gehören die langfristig verfügbaren Grundmittel, die konkret für Forschungszecke vergebenen Drittmittel und die befristeten und an Auflagen gebundenen Sondermittel. Björn Möller zufolge habe die Hochschulfinanzierung zwischen 2006 und 2015 einen Strukturwandel erfahren: Es habe einen Rückgang der langfristigen Grundmittelfinanzierungen gegeben, die beiden anderen Finanzierungsarten hätten jedoch zugenommen. Die Sondermittel hätten einen Anstieg von 3.2 auf 13.4 % erfahren und machten mittlerweile einen nicht mehr wegzudenkenden Anteil der Gesamteinnahmen der Universitäten aus. Dadurch entstehe eine zunehmende finanzielle Abhängigkeit der Universitäten von zeitlich befristeten Finanzierungsquellen, was die zuverlässige Erfüllung universitärer Daueraufgaben erschwere. Da der Anstieg an Studierenden je nach Fächergruppen sehr unterschiedlich ausfalle, müsse auf die konkreten Folgen des Strukturwandels jedoch jeweils eine individuelle Antwort gefunden werden. Mit einem wenig optimistischen Ausblick beendet Möller seinen Beitrag: Das finanziell wichtigste Sondermittelprogramm, der Hochschulpakt 2020, sei zwar verlängert worden. Ein Bericht des Bundesrechnungshofes habe jedoch bereits drei Tage nach der Verlängerung nicht nur die ineffektive Verwendung der durch den Hochschulpakt vergebenen Finanzspritzen, sondern auch das Horten dieser Gelder durch die Bundesländer aufgedeckt.

Der Rechnungsabschluss der Universität Wien dient Stefan Wiederkehr als Einstieg für seinen Beitrag: Dieser lasse erkennen, wie hoch die Kosten für universitäre Sammlungen seien. Aus rein betriebswirtschaftlicher Perspektive würde sich also deren Verkauf theoretisch durchaus lohnen. Der Begriff „Sammlungen“ umfasst dabei die Forschungs-, Lehr- und Kunstsammlungen der Universitäten, wie Herbarien, Architekturmodelle, archäologische Sammlungen etc. Stefan Wiederkehr zufolge zeige dieser Rechnungsabschluss stellvertretend für diejenigen manch anderer Universitäten, wie Sammlungen als ökonomische Belastung wahrgenommen werden könnten, obwohl diese einen grossen Wert haben und wichtige Funktionen erfüllen: von der Nutzung in Forschung und Lehre über die Wissenschaftsvermittlung für eine breite Öffentlichkeit bis hin zur Bewahrung des kulturellen Erbes. Werden dennoch Verkäufe aus universitären Sammlungen angekündigt, sei jeweils mit grossem öffentlichen Widerstand zu rechnen. Wiederkehr argumentiert, es sei vorteilhafter, die Sammlungen aufzuwerten statt sie zu verkaufen. Verschiedene Strategien seien bereits von den Universitäten in Tübingen, Berlin und Göttingen erfolgreich umgesetzt worden: Dazu gehören Ausstellungen, die Förderung von interdisziplinären Lehrveranstaltungen vor dem Hintergrund des material turn sowie die Digitalisierung der Forschungsdaten aus dem analogen Zeitalter. Somit könnten die universitären Sammlungen für den Dialog zwischen Hochschule, Forschung und der Öffentlichkeit zugänglich und für die Universitäten fruchtbar gemacht werden. Die sinnvolle Nutzung von Sammlungen ist demzufolge mit dem Einsatz weiterer finanzieller Mittel verbunden, die jedoch als langfristige Investition zu betrachten seien.

MAXIMILIAN SCHUH (Heidelberg) zieht in seinem Kommentar immer wieder Parallelen zwischen der Moderne und der Universitätsgeschichte des Mittelalters, seinem eigenen Forschungsschwerpunkt. Der Mangel an finanziellen Mitteln sei seit der Entstehung der europäischen Universitäten im Mittelalter ein Charakteristikum des Studiums. In allen drei Beiträgen begegne Reichtum nicht immer als finanzieller Reichtum und durchaus auch nicht immer positiv. Als Überleitung zur Diskussion stellt Schuh zu jedem Beitrag spezifischere Fragen, unter anderem, wie die Hochschulfinanzierung vor 1944 in den USA und vor 2006 in der BRD funktioniert habe oder wann die Sammlungen angefangen haben, zu einer Belastung für die Universitäten zu werden.
Die drei Vorträge haben mit neuartigen Fragestellungen und interessanten Ansätzen Facetten des Reichtums der Universitäten aufgedeckt. Allerdings trugen die sehr unterschiedlichen Themenschwerpunkte dazu bei, dass dem Panel letztlich Kohärenz und ein übergreifendes Erkenntnisinteresse fehlte. Dies fiel auch dem Publikum auf, das mit themenübergreifenden Fragen versuchte, Brücken zwischen den einzelnen Beiträgen zu schlagen. Die Frage nach der Rolle der Politik in der Gestaltung der Bildungslandschaft hätte zudem mehr Aufmerksamkeit verdient und vielleicht auch einen Rahmen geschaffen, um alle drei Vorträge stärker in Beziehung zueinander zu setzen.


Panelübersicht:

Krämer, Felix: Ein Gespenst des Reichtums? Bildungsschulden und universitäre Ökonomie in den USA von 1944 bis in die Gegenwart

Möller, Björn: Hochschulfinanzierung: Auskömmlich und zukunftsfähig? Ein Beitrag zur Analyse des Strukturwandels der Hochschulfinanzierung in Deutschland

Wiederkehr, Stefan: Universitätssammlungen: Materialisierte Wissensordnungen zwischen Reichtum und Kostenfaktor



Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 5. Schweizerischen Geschichtstagen

Evènement: 
5. Schweizerische Geschichtstage
Organisé par: 
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte und Universität Zürich
Date de l'événement: 
07.06.2019
Lieu: 
Zürich
Report type: 
Conference