Verantwortung: Matthias Ruoss
Referierende: Sarah Scheidmantel / Monika Wulz
Kommentar: Catherine Davies
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Die bekannte Redewendung der «Natur der Sache» drücke Selbstverständlichkeiten, Evidenz und Plausibilität aus – so MATTHIAS RUOSS (Zürich) in seiner Eröffnung des Panels über die Herstellung von Geschlecht und Ökonomie. Es stelle sich die Frage nach den Zusammenhängen von Wirtschaft und Geschlechterordnungen und welche Rückschlüsse hinsichtlich zeitgenössischer Naturvorstellungen daraus gezogen werden könnten. Das 19. Jahrhundert biete sich als zeitlicher Bezugsrahmen an, da sich in der kapitalistischen Moderne eine von biologisierten Geschlechterdifferenzen dominierte soziale Ordnung herausgebildet habe. Ruoss verfolgte mit dem Panel das Ziel, zwei Forschungsagenden zusammenzubringen: Zum einen werde danach gefragt, warum die Geschlechterverhältnisse im Kapitalismus neu organisiert wurden, zum andern werde beleuchtet, wie Prozesse der Herstellung von Geschlechterverhältnissen damit verlinkt sind. An der Zusammenführung dieser beiden Agenden zeige sich die Wechselwirkung von Natur, Geschlecht und Ökonomie.
SARAH SCHEIDMANTEL (Zürich) sprach im ersten Beitrag über die Werbung für und den Einsatz von medizinisch-kosmetischen Vibrationsgeräten um 1900, die Krankheiten entgegenwirken und einen idealen weiblichen Körper schaffen sollten. Am Beispiel dieser Geräte zielte die Referentin darauf, die Verschränkung von Konsum und Weiblichkeitsvorstellungen um die Jahrhundertwende zu verdeutlichen.
Zunächst seien die vibrierenden Massagegeräte als medizinische Instrumente entwickelt worden – und das nicht zufällig im späten 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der Industrialisierung und der beginnenden Moderne. Nach Ansicht der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, und im Sinne des Nervendiskurses jener Zeit, führten anhaltende Schwingungen bei der Bevölkerung zur Entwicklung eines «nervösen Selbst». Dem Reizübermass könne durch gezielte Vibration entgegengewirkt werden, so eine aufkommende Vorstellung, indem die Zirkulation des Stoffwechsels angeregt und die Durchblutung gefördert werde – die Vibrationstherapie war geboren. Anders als bei Elektrotherapien wirkten die Vibrationsgeräte rein mechanisch auf den Körper ein. Frauen seien zunehmend zur Zielgruppe geworden, da insbesondere ihnen «dünnere» Nerven attestiert wurden und die Vibrationshilfe damit in Verbindung stehende Leiden, z.B. «Hysterie» oder sogenannte «Frauenleiden» wie etwa Schwangerschaftsbeschwerden, lindern sollte.
Die wenig zeitintensive und oft in Friseursalons durchgeführte Behandlung fand bald Eingang in die Schönheitspflege, wie die Referentin weiter ausführte. Ein junger, schöner und gesunder Körper war die Maxime – Gesundheit und Schönheit seien damit zu einem (ver)käuflichen Produkt geworden. Dass Schönheitsideale keine unveränderbaren Konstanten sind, sondern historischem Wandel unterliegen, zeigt sich auch an der Werbung für Vibrationsgeräte, die mittels «emotionalem Branding» zu einem neuen Körperregime und einer Verschiebung der Schönheitsideale führte.
Werbebotschaften suggerierten, dass nur ein hergestellter, optimierter (und nicht der natürliche) Körper ansehnlich und liebenswert sei. Vibrationsgeräte wurden auch geschlechtsabhängig beworben: Assoziierte man den männlichen Idealkörper mit Jugendlichkeit und Kraft, die durch Vibration hergestellt würden, wurde der weibliche Körper als unzureichend und unkontrolliert dargestellt, den es mit den Geräten zu verändern galt. In einem «Jahrmarkt der Eitelkeiten» waren vor allem die bürgerlichen Frauen mit dem nötigen Kleingeld die Zielgruppe der Werbung.
Scheidmantel zeigte in ihrem Beitrag den nicht zu unterschätzenden Einfluss der Werbung auf gängige Schönheitsideale und die Verflechtungen von körperlichen Idealen und Konsum: Weiblichkeit wurde erschaff- und veränderbar und der Körper der Frau zu einem dauerhaft verbesserungswürdigen Objekt – ein Bild aus dem 19. Jahrhundert, das sich bis in die heutige Zeit erhalten habe.
Im zweiten Beitrag legte MONIKA WULZ (Luzern) ihren Fokus auf die ökonomischen Grundlagen geistiger Arbeit im 19. Jahrhundert und fragte nach dem Zusammenhang von Eigentum und Produktivität von Frauen. Den Zusammenhang von Natur, Zivilisation und Fortschritt zeigte sie anhand des Werks der amerikanischen Suffragette Matilda Joslyn-Gage (1826-1898).
Die Industrialisierung war von Innovationen und Erfindungen geprägt, wobei das populäre Bild dieser Zeit in erster Linie durch berühmte Männer und Erfinder gekennzeichnet ist. Diese Wahrnehmung scheint sich auf den ersten Blick auch an den eingereichten Patenten zu bestätigen, die ab den 1860er Jahren an Bedeutung gewannen. Anhand einer Auflistung aus dem Jahr 1885 zeigte Wulz, dass Männer ein Vielfaches an Patenten einreichten (16´000 Patente) als Frauen (106 Patente). Gage habe allerdings bereits in den 1880er Jahren gegen den Ausschluss von Frauen aus der Wissenschaft argumentiert: In ihrem Artikel Women as an Inventor (1883) prangerte sie die Hindernisse an, die weibliches Erfindertum verunmöglichen und die niedrige Zahl an Patentanmeldungen durch Frauen erklären würden. Erfindungen seien ein Zeichen für Zivilisation, Freiheit und Bildung. Frauen seien jedoch von Bildung, Unternehmertum und politischer Mitsprache ausgegrenzt und als Erfinderinnen nicht beachtet worden. In Anlehnung an ihre Arbeit wird die Verdrängung des Beitrags von Frauen in der Wissenschaft bis heute als «Matilda-Effekt» bezeichnet.
Wulz präsentierte einen zweiten von Gage veröffentlichten Beitrag, in dem diese 1893 kulturelle Möglichkeiten und Produktivität von Frauengesellschaften bei den Ho-De’-No-Sau-Nee und den Iroquois mit US-amerikanischen Verhältnissen verglich. Bei den indigenen Gesellschaften habe sie eine für Frauen hoch entwickelte Gesellschaftsform festgestellt: So hätten Frauen der Ho-De’-No-Sau-Nee eine gleichberechtigte ökonomische Rolle inne, wohingegen in den USA eine Gleichstellung hinsichtlich der Bedingungen und Rechte nicht vorhanden sei. Gage beschreibt die Gleichberechtigung als ein Naturrecht und ihre Anerkennung als solches als Zeichen des Fortschritts, wie die Referentin ausführte. Mit ihrer Arbeit zu weiblicher Produktivität habe sich Gage in den zeitgenössischen Diskurs zum Verhältnis von Natur, Zivilisation, Evolution und Primitivität eingeschrieben und gleichzeitig gegen einflussreiche Literatur angeschrieben, die matriarchalische Strukturen als veraltet und amerikanische natives als unproduktiv darstellten.
Ruoss fasste zusammen, dass sich beide Vorträge mit weiblicher Produktivität beschäftigten, wobei das Gefäss des Kapitalismus, in dem Natur, Geschlecht und Ökonomie betrachtet wurden, einen Zusammenhang schaffe. Gemein hatten die Beiträge das Thema der weiblichen agency, wie auch im Kommentar von CATHERINE DAVIES (Zürich) sichtbar wurde, die Karin Hausens (1976) Thesen zur Polarisierung der Geschlechterdefinition aufgriff. Die Referentinnen beschäftigten sich mit Geschlechterunterschieden ausserhalb der familiär-häuslichen Sphäre, die in der bisherigen Forschung oft zentraler Bezugspunkt geblieben ist, und zeigten Frauen als ökonomische Akteurinnen, als Wissenschaftlerinnen, Produzentinnen und Konsumentinnen. Das 19. Jahrhundert erwies sich dabei als treffend gewählter zeitlicher Rahmen, in dem ökonomische Veränderungsprozesse stattfanden, die auch Geschlechterdifferenzen konstruierten.
Panelübersicht:
Scheidmantel, Sarah: «Schlanke Fesseln, der Stolz der Dame». Die Entstehung optimierter Weiblichkeit durch den Konsum medizinisch-kosmetischer Vibrationsgeräte um 1900
Wulz, Monika: Erfinderinnen und Eigentumsrechte. Geschlecht und die ökonomischen Grundlagen von Innovationen im 19. Jahrhundert
Engel, Alexander: Was Frauen tun: Geschlecht als empirischer und normativer Gegenstand der Nationalökonomie im langen 19. Jahrhundert (ausgefallen)
Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 6. Schweizerischen Geschichts
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