Verantwortung: Jan Rüdiger
Referierende: Maria Tranter / Vytautas Volungevičius
Kommentar: Kerstin Hitzbleck
JAN RÜDIGER (Basel) nahm in der Einleitung des Panels «Viele Frauen haben. Praktiken und Politiken der Polygynie im Vergleich» den Begriff der «Vielweiberei» auf, der (historisch) meistens mit Weltgegenden wie Afrika und Polynesien in Verbindung gesetzt werde. Dieses Panel war um eine Umkehrung der Perspektive bemüht und rückte dabei das europäische Mittelalter in den Fokus. Erwähnung fand die Monogamie bereits in der Spätantike und als «Zweisamkeit» bei Apostel Paulus, der Begriff habe sich aber als Konstrukt immer wieder weiterentwickelt, führte Rüdiger aus. In zwei Fallbeispielen thematisierte das Panel das Thema «Frauen als Reichtum» im mittelalterlichen England und Litauen.
MARIA TRANTER (Basel) begann ihren Vortrag mit den einleitenden Fragen, ob England die Praxis der Polygynie kannte, ob Knut der Grosse 'reich an Frauen’ war und was ihm dieser Reichtum gebracht hat. Es folgte ein kurzer Abriss zum Leben des dänischen Königs Knut dem Grossen. Dessen Vater Svein hatte 1013 England erobert, regierte das Land aber nur kurz und verstarb bald darauf. Nach Sveins Tod kam es zu einer Spaltung des Reichs und der frühere angelsächsische König Aethelred II. kehrte wieder an die Macht zurück. Knut eroberte 1016 England erneut, ein Jahr später heiratete er Emma von der Normandie, die Witwe des verstorbenen Aethelred, um seinen Macht- und Thronanspruch zu legitimieren. Allerdings hatte Knut mit Aelfgifu schon eine andere Ehefrau, die er 1013 während der ersten Invasion Englands geheiratet hatte. Diese offensichtliche Polygynie, so führte Tranter aus, sei eine skandinavische Eigenart gewesen, die von der englischen Kirche nicht gebilligt oder ausgeblendet wurde, beim skandinavischen Adel des Mittelalters jedoch gewöhnlich war. Knut wurde anscheinend vom Volk als König anerkannt, da er durch seine Heiraten sowohl mit den Angelsachsen als auch mit den Skandinaviern verbunden war. Er zeugte mit seinen beiden Frauen mehrere Söhne, die er als seine Erben einsetzte, um die politische Macht weiterzugeben. Aelfgifu sei nicht aus den Quellen verschwunden, erklärte die Referentin, und obwohl sie in einigen Schriften als Konkubine dargestellt wird, scheine sie politisch anerkannt gewesen zu sein. Am Hof sei Emma viel bekannter gewesen, was zu einer Verschiebung der weiblichen Macht geführt habe. Darauf seien Konflikte zwischen den beiden Ehefrauen und deren Söhnen aufgekommen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Knut durch die Eheallianzen tatsächlich einen «Reichtum an Frauen» besass, der ihm auch einen «Reichtum an Erben» bescherte.
VYTAUTAS VOLUNGEVIČIUS (Vilnius) berichtete in seinem Vortrag von der Christianisierung der Litauerinnen und Litauer im Mittelalter, die auch signifikante Veränderungen in Bezug auf die Eheschliessungen mit sich brachte. Schon der römische Historiker Tacitus berichtete, dass die Germanen – abgesehen vom Adel – die Monogamie praktizierten. Auch die vorchristlichen Stämme im Baltikum kannten eine Form der Ehe, die allerdings nicht so strikt wie jene im Christentum war. Die sicherlich ebenfalls praktizierte Polygynie lasse sich als Reichtum interpretieren, so Volungevičius, sie habe jedoch die Ehe nicht ausgeschlossen. Heiden von der Ostseeinsel Ösel seien mehrmals in Schweden auf Raubzug gewesen und hätten dabei Sklavinnen mitgenommen, um sie später zu ehelichen. Die sexuellen Beziehungen seien noch unterschiedlich beurteilt worden und galten als diffus, was die Päpste des 13. Jahrhunderts zu bekämpfen versuchten. Auch in Bezug auf Eigentum hätten die Baltinnen und Balten noch lange eigene Bräuche gepflegt, beispielsweise teilten preussische Adlige durch Pferdekämpfe das Land der Verstorbenen untereinander auf. Nachdem sie vom Deutschen Orden besiegt worden waren, sollte mit dem Christburger Vertrag von 1249 die Monogamie eingeführt werden. In diesem Vertrag war unter anderem festgehalten, dass die Balten die eigenen Schwestern und Töchter verkaufen würden, vermutlich um den eigenen Forderungen stärkeren Nachdruck zu verleihen. Die vormals lebendigen Beziehungsstrukturen seien damit vereinheitlicht worden, wobei zwei Jahre Zeit zur Übernahme der Monogamie gewährt wurde. Trotzdem, so hielt der Referent abschliessend fest, sei die Polygynie im Verborgenen noch lange weiter praktiziert worden.
KERSTIN HITZBLECK (Basel) hielt in ihrem anschliessenden Kommentar fest, dass durch die beiden Fallbeispiele deutlich werde, dass im Mittelalter bei Königen und Adligen oft eine Verbindung zwischen der Zahl der Ehefrauen und Reichtum hergestellt worden sei. Die Polygynie sei im europäischen Mittelalter ziemlich sicher vorgekommen, auch wenn sie in den zeitgenössischen Quellen schwer fassbar sei, da hier vielmehr das Konkubinat negativ thematisiert werde. Es sei anzunehmen, so Hitzbleck weiter, dass das lange Mittelalter Umbrüche bezüglich der Eheschliessungspraktiken erlebte, die in weiteren Untersuchungen bearbeitet werden sollten.
Panelübersicht
Tranter, Maria: Zwei Frauen und ein Königreich. Die ehelichen und politischen Beziehungen Knut des Grossen im Kontext angelsächsischer Kultur.
Volungevičius, Vytautas: Frauen, Eigentum und Reichtum im Spannungsverhältnis zwischen her-kömmlichen Glaubensnormen und Christentum im östlichen Ostseeraum
Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 5. Schweizerischen Geschichtstagen